Girls'Day: „Schluss mit den Klischees bei der Berufswahl“
Der Girls'Day lädt seit 16 Jahren Mädchen und Unternehmen dazu ein, über den Tellerrand zu blicken. An diesem Tag öffnen Firmen, die hauptsächlich Männer beschäftigen, ihre Tore für junge Frauen. Die Unternehmen zeigen dadurch Interesse an weiblichem Nachwuchs und eröffnen Mädchen neue Perspektiven für Ausbildungs- und Berufswege im MINT-Bereich.
Die Wahl der Ausbildung, des Studiums und des Berufs wird maßgeblich von den Eltern und vom eigenen Geschlecht beeinflusst, weiß Elisabeth Schöppner, die Projektleiterin des Girls'Day. Deshalb ist es besonders wichtig, dass Mädchen und Jungen die Möglichkeit haben, neue berufliche Perspektiven jenseits von Rollenklischees für sich zu entdecken. Am Boys'- und Girls'Day, der dieses Jahr am 27.4. stattfindet, können sich Schüler und Schülerinnen in unterschiedlichen Berufen ausprobieren.
Für Mädchen werden vor allem Berufe aus dem sogenannten MINT-Bereich angeboten. Dazu zählen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Welchen Einfluss dieser Tag auf die spätere Ausbildungs-, Studien- und Berufswahl hat, ist verblüffend, erzählt Elisabeth Schöppner im Interview mit finanzen.de.
Frauen fehlen heutzutage noch in sogenannten MINT-Fächern. Das gilt für Ausbildungsberufe, Universitäten und Fachhochschulen sowie im Arbeitsleben. Helfen Initiativen wie der Mädchen-Zukunftstag dabei, weibliche Talente für MINT-Fächer zu begeistern?
Elisabeth Schöppner: Ja, der Mädchen-Zukunftstag, besser bekannt als ‚Girls'Day', hilft nachweislich dabei, Mädchen und junge Frauen auf Studien- und Berufsfelder aus dem MINT-Bereich aufmerksam zu machen. Es gibt dazu auch Zahlen, die den Nutzen des Girls'Day untermauern. Jedes Jahr nehmen rund 100.000 Mädchen diese Chance wahr. 65 Prozent der Schülerinnen sind davon überzeugt, dass der Tag ihnen ein neues Spektrum an beruflichen Zukunftsmöglichkeiten eröffnet hat. Die Unternehmen sprechen ebenfalls von einer Erfolgsstory: Ein Drittel der Unternehmen, die mehrfach am Girls'Day teilgenommen haben, erhält Bewerbungen von ehemaligen Teilnehmerinnen. Von diesen Bewerberinnen werden jährlich über 60 Prozent eingestellt.
Die Zahlen sind ohne Zweifel positiv. Allerdings erreichen wir trotz der hohen Teilnahmezahlen mit dem Mädchen-Zukunftstag nur einen Bruchteil der Mädchen, die in einem MINT-Beruf Karriere machen könnten. Insgesamt nehmen etwa fünf Prozent aller Schülerinnen ab Klasse 5 in Deutschland an dem Projekt teil.
Jungen und Mädchen werden oft geschlechterstereotype Talente zugesprochen. Analytisches Denken gehört demzufolge zu männlichen Stärken und Kommunikation zu weiblichen. Sind solche Klischees dafür verantwortlich, dass sich Mädchen in der Schule und Frauen in der weiteren Ausbildung und Berufswahl nicht so oft für MINT-Fächer entscheiden?
Elisabeth Schöppner: Ich finde es schon erstaunlich, dass diese verstaubten Klischees noch immer existieren. Der letzten PISA-Studie 2015 zufolge sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen beispielsweise bei den Leistungen in Naturwissenschaften im Durchschnitt eher gering. Dennoch halten sich die Klischees hartnäckig. Wir beobachten, dass Fremdzuschreibungen bezüglich geschlechtsspezifischer Fähigkeiten die Kinder auf den verschiedenen Stationen ihrer Schul-, Ausbildungs- und Berufslaufbahn begleiten und natürlich beeinflussen.
Mädchen lernen beispielsweise von klein auf, Risiken eher zu vermeiden und nach bewährten Mustern zu agieren. Meiner Meinung nach leiden viele Frauen an einem ‚Mut-Defizit', wenn es darum geht, Neues auszuprobieren, wozu auch ungewöhnliche Berufswege gehören. Die unterschiedliche Selbstwahrnehmung und Beurteilung von Situationen von Mädchen und Jungen zeigt sich etwa auch bei Prüfungen. Ist eine Klausur besonders schwer, suchen viele Frauen den Fehler bei sich und nicht in der Aufgabenstellung. Viele Männer hingegen suchen den Fehler nicht bei sich, sondern stufen die Klausur als zu schwer ein.
Was müssen Ausbilder, Hochschulen und Arbeitgeber machen, um das Interesse von Mädchen und Frauen zu gewinnen?
Elisabeth Schöppner: Wir bekommen von den Mädchen, die am Girls'Day teilnehmen, regelmäßig positives Feedback, wenn sie von den Unternehmen wirklich willkommen geheißen werden und sich dort ernst genommen und erwünscht fühlen. Die Teilnehmerinnen freuen sich besonders, wenn die Firmen Kontakt zu ihnen halten und sie zum Beispiel über Praktikumsmöglichkeiten oder Ausbildungsstellen informieren. Sie fühlen sich dann darin bestärkt, dass die Firma sie tatsächlich als geeignet für die Position betrachtet. Dadurch bewerben sich die jungen Frauen viel eher auf Ausbildungen und Jobs im MINT-Bereich.
Außerdem können Universitäten und Unternehmen die Aufmerksamkeit von jungen Frauen auf sich ziehen, indem sie diese direkt ansprechen: Eine Stellenanzeige muss nicht immer im generischen Maskulinum verfasst sein und dann noch den Zusatz ‚(m/w)' enthalten. Das suggeriert, dass Frauen sich auch bewerben dürfen, aber nicht in erster Linie angesprochen werden. Wir haben außerdem festgestellt, dass sich mehr Frauen auf eine Stelle im MINT-Bereich bewerben, wenn im Unternehmen bereits Frauen in der Technik beschäftigt sind oder sogar eine Frau als Ausbilderin oder weibliche Vorgesetzte dort tätig ist.
In Bezug auf Studienfächer ist ebenfalls ein Muster zu erkennen, wie sich mehr Frauen auf MINT-Fächer bewerben. Sobald das Studienfach einen konkreten Anwendungsbereich betrifft, wie Medizinische Informatik (Frauenanteil 44,25 Prozent) oder Umwelttechnik (35,10 Prozent), finden sich dort viel mehr Frauen als beispielsweise in der klassischen Informatik (17,39 Prozent).
Auch wenn Frauen eine Ausbildung im MINT-Bereich haben, müssen sie sich in männlich dominierten Berufen oft besonders meinungsstark und durchsetzungsfähig zeigen, um fachlich anerkannt zu werden. Viele Frauen schrecken davor zurück. Wo besteht hier von Arbeitgeberseite Nachholbedarf?
Elisabeth Schöppner: In vielen Bereichen sind Frauen bis zu einer bestimmten Hierarchiegrenze vertreten. Die meisten stoppen dann jedoch an der berühmten ‚gläsernen Decke'. Das hat verschiedene Gründe, die auch an Arbeitgebern liegen. Unternehmen müssen eine Atmosphäre schaffen, die weibliche Führungskräfte ‚normal' machen. Dazu braucht es Vorbilder und eine Unternehmenskultur, die Bedürfnisse berücksichtigt, die vorwiegend Frauen haben. Dazu zählt etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Firmen, die auf Sitzungen in den Abendstunden verzichten und auf Präsenzkultur weniger Wert legen, machen Führungspositionen für viele Frauen erst möglich.
Vielen Dank für das Interview, Frau Schöppner.