Bundestag billigt Griechenland-Paket - Keine Kanzlermehrheit

Berlin (dpa) - Der Bundestag hat das zweite Rettungspaket für Griechenland mit großer Mehrheit gebilligt - Schwarz-Gelb verfehlte aber die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit. Bei der Abstimmung schaffte das Regierungslager zwar die eigene Mehrheit.

Mit 304 Ja-Stimmen reichte es aber erstmals bei einer wichtigen Euro-Abstimmung um sieben Stimmen nicht für die Kanzlermehrheit. Die Union sah dies gelassen, SPD und Grüne sprachen von einer Niederlage der Kanzlerin.

Bei der Union gab es 13 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen. Beim Koalitionspartner FDP sagten 4 Abgeordnete Nein, bei 1 Enthaltung. 6 Parlamentarier von Union und FDP waren auf Reisen oder krank. Da die Kanzlermehrheit aus Sicht der Regierung nicht nötig war, verzichteten die Koalitionsspitzen darauf, die Abgeordneten nach Berlin zu holen.

Es war seit Mai 2010 die siebte Abstimmung über Euro-Rettungshilfen. Für die Kanzlermehrheit im Parlament hätte Schwarz-Gelb 311 Ja-Stimmen gebraucht - eine Stimme mehr als die Hälfte aller 620 Abgeordneten.

Für das neue Griechenland-Hilfsprogramm von 130 Milliarden Euro stimmten am Montagabend insgesamt 496 Abgeordnete, darunter auch die Mehrheit von SPD und Grünen. 90 Parlamentarier waren dagegen, 5 enthielten sich. Die Linke lehnte das zweite Rettungspaket ab, mit dem Athen vor dem Staatsbankrott gerettet werden soll.

Die Unionsfraktion reagierte gelassen auf das Verfehlen der Kanzlermehrheit. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Peter Altmaier (CDU) sagte, die Koalition habe mit einem Vorsprung von 19 Stimmen eine deutliche eigene Mehrheit erreicht und sei nicht auf die Opposition angewiesen gewesen. «Das Ziel der Koalition war von Anfang an die eigene Mehrheit gewesen.»

Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin und Renate Künast sprachen dagegen von einer «herben Niederlage» für Merkel: «Jetzt ist Kanzlerinnendämmerung.» Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sah Merkel «politisch gescheitert». Und: «Die Bundeskanzlerin bekommt diese Krise seit zwei Jahren nicht in den Griff. Heute hat Frau Merkel von den eigenen Leuten die Quittung dafür bekommen.»

Es ist bereits das zweite Hilfsprogramm für das angeschlagene Euro-Land. Als Gegenleistung für die Milliardenhilfen bis Ende 2014 hat sich Athen zu einem scharfen Spar- und Reformkurs verpflichtet. Wichtige Punkte wie die Beteiligung der Privatgläubiger an einem Schuldenschnitt und Anleihetausch sowie die Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind aber noch offen.

Vor der Abstimmung überraschte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Angebot, dass Deutschland den künftigen Euro-Rettungsschirm ESM weit schneller mit Kapital ausstatten will. Die Bundesregierung sei bereit, den deutschen Anteil von gut 22 Milliarden Euro innerhalb von zwei Jahren einzuzahlen statt wie bisher geplant in fünf Jahresraten.

«Voraussetzung dafür ist, dass auch die anderen Mitgliedstaaten mitziehen», betonte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Damit würde die Ausleihkapazität des im Juli startenden ESM von bis zu 500 Milliarden Euro nach nur zwei Jahren erreicht. Die ersten 11 Milliarden Euro als Bareinlage sollen noch in diesem Jahr fließen, die zweite Hälfte dann 2013.

Zugleich erteilte die Kanzlerin Forderungen der USA, der EU-Kommission sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach einem höherem Schutzwall um die Euro-Zone erneut eine Absage. «Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine Debatte über eine Erhöhung der Kapazitäten von EFSF und ESM.»

Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) drohte am Abend damit, die Kreditwürdigkeit des EFSF herabzustufen. Der Ausblick werde auf «negativ» gesenkt, teilte S&P in London mit. Die aktuelle Note «AA+» wurde jedoch bestätigt.

Der ESM soll mit Bareinlagen der Euro-Länder von 80 Milliarden Euro ausgestattet werden. Davon schultert Deutschland 21,7 Milliarden Ursprünglich sollte das Geld in fünf gleichen Jahresraten eingezahlt werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss dafür neue Schulden aufnehmen und 2012 einen Nachtragsetat vorlegen.

Vor der Abstimmung über das Hilfspaket hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit einem Vorstoß zum Austritt Athens aus der Euro-Zone für Irritationen und Unmut auch im Koalitionslager gesorgt. Merkel ließ den Vorstoß zurückweisen: Die Kanzlerin teile diese Einschätzung nicht, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert.

Die Kanzlerin erklärte im Bundestag, die Chancen mit dem neuen Hilfsprogramms seien größer als die Risiken. Der vor den Griechen liegende Weg sei aber lang und wahrlich nicht ohne Risiko. «Eine 100-prozentige Erfolgsgarantie kann niemand geben», betonte Merkel. Sie rief die privaten Gläubiger auf, sich am Schuldenschnitt zu beteiligen. Unabdingbar sei ein weiter signifikanter Beitrag des IWF.

Der frühere Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hält das Vorgehen der Bundesregierung «auf ganzer Linie» für gescheitert. Merkel habe die Dimension der griechischen Tragödie lange völlig unterschätzt, sagte er im Parlament. «Das zweite Griechenland-Paket ist auf sehr dünnem Eis gesetzt.»

Bei den Grünen wurden große Sorgen um die soziale Stabilität Griechenlands deutlich. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi verglich die Vorgaben für Athen mit den Reparationsforderungen an Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. «Sie machen bei Griechenland Versailles, die brauchen aber Marshall.» Der Marshallplan trug wesentlich zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bei.

EU / Finanzen / Bundestag / Griechenland
27.02.2012 · 20:00 Uhr
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