Oberstes Gericht: Kein Brexit ohne Mitsprache des Parlaments

London (dpa) - Das höchste britische Gericht hat den Brexit-Plänen von Premierministerin Theresa May einen Dämpfer versetzt.

Die britische Regierung darf nicht ohne Zustimmung des Parlaments den Austritt des Landes aus der Europäischen Union erklären, wie der Supreme Court in London entschied. Erst danach könne May die Erklärung für die Scheidung von der EU einreichen.

Das Urteil stellt nicht das Referendum zum EU-Austritt selbst infrage, könnte aber Mays Brexit-Zeitplan verzögern. Deutsche Unternehmen reagierten nach dem Richterspruch verunsichert.

Die Regierung in London zeigte sich enttäuscht, will aber wie geplant bis zum 31. März die Erklärung für die Trennung von der EU in Brüssel einreichen. Dafür könnte sie Medienberichten zufolge bereits an diesem Donnerstag einen Gesetzesvorschlag einbringen, um das Parlament über die Austrittserklärung abstimmen zu lassen. Das Gesetz werde ausschließlich dem Zweck dienen, der Regierung die Vollmacht für die Erklärung zu übertragen, sagte Brexit-Minister David Davis.

Gleichzeitig warnte Davis die Abgeordneten ausdrücklich davor, die Abstimmung zu nutzen, um den Brexit zu verzögern. «Es gibt kein Zurück», betonte der Minister. Oppositionsführer Jeremy Corbyn (Labour) kündigte an, den Weg der Regierung nicht zu blockieren. «Labour respektiert den Ausgang des Referendums», sagte er.

Die EU-Kommission hält sich weiterhin extrem zurück. Interne Rechtsfragen von Mitgliedsstaaten kommentiere man nicht, sagte Sprecher Margaritis Schinas in Brüssel.

Die elf Richter bestätigten in dem Berufungsverfahren ein früheres Urteil mit einer Mehrheit von acht zu drei Stimmen. Das Gericht sprach den Regionalparlamenten von Schottland, Wales und Nordirland allerdings kein Mitspracherecht bei der Austrittserklärung zu. Schottland und Nordirland hatten sich beim Referendum im vergangenen Sommer mehrheitlich für den Verbleib in der EU ausgesprochen.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte London auf, die Interessen Schottlands bei den Brexit-Verhandlungen zu berücksichtigen. Sturgeon kündigte an, die Abgeordneten in Edinburgh über die EU-Austrittserklärung abstimmen zu lassen. Gleichzeitig drohte sie erneut mit einem Referendum über die schottische Unabhängigkeit.

Die Initiatorin des Prozesses, die Investmentmanagerin Gina Miller, zeigte sich nach dem Urteil erleichtert: «Kein Premierminister, keine Regierung kann erwarten, nicht hinterfragt oder herausgefordert zu werden.»

Der von May gesteckte Zeitrahmen ist sehr eng. Zum anderen befürchten Brexit-Befürworter, dass die Parlamentarier den EU-Austritt verwässern und eine stärkere EU-Nähe einfordern könnten. Das Parlament gilt als überwiegend EU-freundlich.

May hatte vor einer Woche in einer Grundsatzrede einen «harten Brexit» angekündigt. Sie will Großbritannien nicht nur aus der EU, sondern auch aus dem europäischen Binnenmarkt führen.

Deutsche Ökonomen rechnen nicht damit, dass das Parlament die Brexit-Entscheidung rückgängig macht. «Weder hat das Gericht den Brexit rückgängig gemacht, noch wird die Regierung den Brexit stoppen», sagte ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski.

Ifo-Chef Clemens Fuest sagte, die britische Regierung müsse den Abgeordneten nun darlegen, wie sie sich die Beziehungen zur EU nach dem Austritt vorstelle. Das könnte dazu führen, «dass die Stimmen an Gewicht gewinnen, die einen «Hard Brexit» ablehnen und eine möglichst enge Anbindung der britischen Wirtschaft an den europäischen Binnenmarkt wünschen».

Der Weg zum Brexit sei «mit neuen Fragezeichen versehen», sagte hingegen der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, einer Mitteilung zufolge. Ohne Klarheit und Berechenbarkeit halte sich die Wirtschaft aber noch stärker als ohnehin mit Investitionen zurück. Der deutsche Leitindex Dax und auch die Londoner Börse reagierten freundlich auf das erwartete Urteil, das Pfund gab leicht nach.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mahnte, der Brexit sollte nicht nur als Gefahr gesehen werde. In den Verhandlungen über den EU-Austritt Londons könne auch ein Ergebnis erzielt werden, das beispielhaft sein könnte für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten.

Die Briten hatten sich am 23. Juni 2016 in einem historischen Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der EU entschieden. Das Ergebnis der Volksabstimmung hat aber keine Rechtskraft.

Zahlreiche Brexit-Befürworter sind der Ansicht, dass Großbritannien zu viel Geld an die Europäische Union zahlen muss. Migranten aus der EU werden für Wohnungsnot, Engpässe im Gesundheitssystem und Wettbewerbsdruck auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich gemacht.

Nach dem Austritt Großbritanniens hätte die EU noch 27 Mitglieder. «Brexit» ist ein Kunstwort aus den Begriffen «Britain» (Großbritannien) und «Exit» (Ausgang).

EU / Brexit / Finanzen / Großbritannien
24.01.2017 · 17:14 Uhr
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