Analyse: Kampfanzug unterm Diplomatenzwirn
Beim ersten öffentlichen Auftritt nach Rückkehr aus Südamerika nimmt sich der FDP-Vorsitzende - «hier in meiner Heimat» - aber zunächst Zeit fürs Grundsätzliche. Westerwelle will demonstrieren, dass «ich sehr gelassen bin, sehr ruhig, aber auch sehr entschlossen».
Mehr als eine halbe Stunde lang referiert Westerwelle über das, was er die wirklichen Grundfragen der Politik nennt, nur selten wird die Tonlage etwas schriller. Der Parteienstreit stehe erst an zweiter oder dritter Stelle. «In Wahrheit geht es um die Frage, welche Geisteshaltung den Zeitgeist prägen soll», lässt er die Delegierten wissen. Und weil er den Zeitgeist hin zu mehr Leistungsgerechtigkeit ändern wolle, stehe er seit Wochen im Sperrfeuer der Linken. Beeindrucken könne ihn das aber nicht. Er werde seinen Positionen «mit Ausdauer und gegen jeden Gegenwind durchhalten». Erstmals brandet in der Siegerlandhalle lauter Beifall auf.
Westerwelle ist auch in Siegen zunächst noch ganz Außenminister. Berichtet über seine Erfahrungen in China, Argentinien und Brasilien. «Entwicklungsländer aus meiner Jugendzeit«, die Deutschland inzwischen eingeholt und bald überholt hätten. Diese Länder fragten nicht erst nach Risiken neuer Techniken. Wie sie müssten die Deutschen Ja sagen zur Zukunft. Als furchtloser Streiter gegen die «Kräfte der Beharrung» präsentiert sich Westerwelle in Siegen.
Doch dann zeigt Westerwelle, dass unter dem feinen Zwirn des Diplomaten auch der Kampfanzug des Parteipolitikers steckt. In der Hartz-IV-Debatte schwenke jetzt auch die SPD auf seinen Kurs ein, weil sie merke, dass die Mehrheit der Menschen ihm folge. Dann macht Westerwelle eine Kunstpause, setzt ein Lächeln auf und sagt in Richtung der im Saal sitzenden Journalisten in makelloser Aussprache: «The published opinion ist not always the public opinion.» (Die veröffentlichte Meinung ist nicht immer die öffentliche Meinung.) Eine Spitze gegen hämische Medienberichte über seine Englischkenntnisse. «Ihr kauft mir den Schneid nicht ab», lässt der Außenminister die Medien wissen. Die Delegierten springen begeistert auf und feiern ihren Vorsitzenden.
Kritik an seinen Hartz-IV-Äußerungen und Vorwürfe der Günstlingswirtschaft bei Auslandsreisen sind für Westerwelle zwei Seiten der selben Medaille. Die Opposition versuche die FDP in die rechte Ecke zu schieben und ihn persönlich zu diffamieren, um davon abzulenken, dass sie in Nordrhein-Westfalen ein rot-rot-grünes Bündnis vorbereite. Den Außenminister auf einer Reise anzugreifen, wenn er sich nicht wehren könne: «Ein absoluter Tiefpunkt». Kritik an der aktuellen Schweigsamkeit von Bundespräsident Horst Köhler: «Unanständig». Das alles zeige: «Wenn Links regiert, gibt es in diesem Land auch keine politische Kultur mehr.»
Er werde weiter dagegenhalten und über die Plätze und durch die Hallen ziehen, um vor der NRW-Landtagswahl für seine Positionen zu werben, verspricht Westerwelle. Die Delegierten sind begeistert. Minuten lang feiern sie den Parteivorsitzenden.