Analyse: «Es ist Zeit für Eskalation»

Berlin (dpa) - Eine Militäroffensive dieses Ausmaßes hat es im nordafghanischen Verantwortungsbereich der Bundeswehr noch nicht gegeben. «Das ist die qualitative Veränderung», sagte der oberste Soldat der deutschen Streitkräfte, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, am Mittwoch in Berlin.

300 Bundeswehrsoldaten und 900 afghanische Sicherheitskräfte, darunter 100 Polizisten, gehen seit Tagen massiv gegen radikal-islamische Taliban im Raum Kundus vor. Dass die Deutschen bei ihrer Unterstützung dieser afghanischen Operation erstmals Schützenpanzer und schwere Waffen einsetzen, spielte er herunter: «Das ist keine neue Qualität.»

Der Vier-Sterne-General betonte, der Truppe stehe dieses Kriegsgerät schon lange zur Verfügung. «Es war jetzt einfach an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen, (...) auch um Abschreckungseffekte zu erzielen.» Dabei machte er zugleich klar: «Wir sind in einer asymmetrischen Auseinandersetzung (...) Unser Problem ist nicht, Überlegenheit im Feuer herzustellen. Die ist da. Es ist nicht unser Problem, Führungsüberlegenheit herzustellen. Die ist da. Gegen uns rennen ja keine gepanzerten Formationen an. Unser Problem ist Aufklärung - zu wissen, wo sich was gegen uns oder die afghanische Bevölkerung zusammenbraut.»

Umso mehr mögen sich Bürger die Frage stellen, warum die Bundeswehr dann jetzt mit Panzer-Bordwaffen und Mörsern schießt. Zuvor hatten deutsche Befehlshaber in Gesprächen betont, dass die Bundeswehr auf den Einsatz scharfer Waffen möglichst verzichten wolle, um den Tod von Zivilisten von vornherein zu vermeiden. Seit März aber, so erklärte nun Schneiderhan, hätten die Aufständischen ihre Taktik geändert und seien von Sprengstoffanschlägen zu einer «militärähnlichen Verhaltensweise» wie Hinterhalte und Gefechte übergegangen. Man müsse die Lage wieder in den Griff bekommen, um für geordnete Präsidentschaftswahlen im August zu sorgen.

Es ist der Raum Kundus - eine frühere Taliban-Hochburg -, wo sich die Lage in den vergangenen Monaten so verschlechtert hat, deutsche Soldaten starben und deutsche Soldaten ihrerseits aus Versehen afghanische Zivilisten töteten. Im vorigen Jahr erschoss ein Soldat in einer völlig unübersichtlichen Situation eine Frau und zwei Kinder. Am vergangenen Sonntag wurde ein Jugendlicher tödlich getroffen. Die Soldaten sahen sich und ihre Kameraden in Lebensgefahr und feuerten aus vermeintlicher Notwehr.

Das Verfahren gegen den Todesschützen vom vorigen August wurde inzwischen eingestellt. Erstmals äußerte sich der 28-Jährige jetzt öffentlich. Dem Magazin «Spiegel» sagte er, dass er die Schreie der Menschen nicht vergessen könne. In der Bundeswehr würde man zwar auf den eigenen Tod vorbereitet. Dass er selber töten würde, sei ihm aber nicht in den Sinn gekommen. «Ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich mal jemanden erschießen würde.» Und: «Es bestand die Gefahr, drei Kameraden zu verlieren, das hätte ich mir nie verziehen.»

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) betonte dennoch erneut: «Wir machen einen Stabilisierungseinsatz und keinen Krieg.» Über vier Fähigkeiten müssten die deutschen Soldaten verfügen: «Kämpfen, vermitteln, helfen und schützen.» Doch wie sehr auch das Töten zur Armee im Einsatz gehört, zu der sich die Bundeswehr nach dem Willen der Politik entwickelt hat, macht die Debatte über die sogenannte Taschenkarte deutlich. Sie fasst die Einsatzregeln für Gewaltanwendung zusammen. Darin heißt es noch: «Der «Schusswaffengebrauch gegen flüchtende Personen, die erkennbar von ihrem Angriff abgelassen haben, ist verboten.»

Dies wird in der Bundeswehr so interpretiert, dass etwa Terroristen in einem solchen Fall nicht gestoppt werden dürfen, auch wenn von ihnen ein weiterer Angriff zu erwarten ist. Jung sagte: «Wir brauchen eine Anpassung an die Lage.» Aber er betont zugleich, dass Afghanistan rein militärisch nicht zu gewinnen sei. «Das muss uns immer im Bewusstsein bleiben.»

Konflikte / Bundeswehr / Afghanistan
22.07.2009 · 15:40 Uhr
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