Fabeln, Legenden, Märchen ...

Die Bernsteinfee
(Sage vom Ostseestrand)
Ein großes Schiff verließ mit geblähten Segeln den Hafen an der Ostsee. Zum Abschied winkend, standen am Ufer die Seemannsfrauen mit ihren Kindern. Unter ihnen war ein junges, blondes Mädchen, Marie, die Tochter des Lotsen. Sie schwenkte ein Tuch in der Hand, denn ihre Abschiedsgrüße galten dem jungen Steuermann, dessen Braut sie seit einer Woche war. Guter Wind führte das Schiff bald auf die offene, weite See, bis es, immer kleiner werdend, verschwand. Da erst kamen dem jungen Mädchen die Tränen, und es lief vom Weg ab in die Dünen, um allein zu sein. Das Abschiedsweh um ihren Bräutigam überkam sie so sehr, wie sie es vorher kaum vermutet hätte. In der einen Woche waren die beiden so recht von Herzen glücklich gewesen. Jetzt aber erfüllten das Mädchen Angst und Zweifel, ob sie ihn jemals wiedersehen werde, und das Geschwätz der Leute, daß ihr Verlobter wohl ein stattlicher, aber leichtfertiger junger Seemann sei, bedrückte sie. Wie lange Marie dort so allein in den Dünen gesessen, wußte sie nicht, sie hatte sich wohl wie ein Kind in leichten Schlaf geweint. Sie erwachte erst, als am nachtdunklen Himmel schon Sterne funkelten. Leise fuhr der Wind durchs Dünengras. Plötzlich wird Marie hellwach, eine Hand hat ihre Schulter berührt, und eine schöne Frauengestalt neigt sich zu ihr nieder. Ihr silbernes Kleid ist wie aus Mondstrahlen gewebt. Auf dem blonden Haar trägt sie eine Krone aus den goldenen Steinen des Meeres, die man Bernstein nennt. Von ihrem Hals löst sie eine Kette mit schönsten Perlen des golden schimmernden Bernsteins und reicht sie dem Mädchen mit den Worten: »Weine nicht mehr, du junges Menschenkind, aus tiefem Herzeleid wird dir am Ende doch dein Lebensglück erblühen. Nimm diese Kette aus meinen Händen und wisse, ich bin die Bernsteinfee.« Marie glaubte zu träumen, aber sie fühlte die Kette in ihren Händen, und innige Freude stieg in ihr auf, als sie die wunderbaren Perlen durch ihre Finger gleiten ließ. Als sie danken wollte, war die schöne Fee verschwunden. Das Mädchen stand auf und ging, ruhiger geworden, nach Hause. Ihre Eltern atmeten auf, als sie Marie endlich in die Stube treten sahen, denn sie hatten sie schon bei den Nachbarn gesucht. Der junge Steuermann nahm den Abschied nicht schwer. Manchmal kam ein Brief von ihm, aber er schrieb immer vergnügt, und nie stand auch nur ein Wort von Sehnsucht nach seiner Braut darin. Dann verging ein Monat nach dem andern, ohne daß Marie eine Nachricht von ihm erhielt. Von heimkehrenden Seeleuten hörte der Lotse eines Tages, der junge Steuermann sei in einem Hafen bei einem Vergnügen uns Leben gekommen. Er hatte mit den Eingeborenen Streit angefangen, den er mit dem Leben büßte. Marie betrauerte ihren Verlobten aufrichtig. Still tat sie jeden Tag ihre Arbeit im Hause ihrer Eltern. Einmal kam ein neuer Lotse in das Haus, zur Unterstützung ihres Vaters. Er war jung und stark, und wenn es galt, Menschenleben aus Sturmesnot zu retten, setzte er sich mutig ein. Die jungen Mädchen putzten sich sonntags ordentlich heraus, um ihm zu gefallen, wenn es zum Tanze ging. Nur Marie blieb immer daheim. Ihr Vater schätzte aber seinen jungen, tüchtigen Kameraden sehr, so wie diesen hatte er sich immer einen Sohn gewünscht. Der Winter hatte viel Eis und Schnee gebracht, und nun meldete sich der Frühling an mit Eisgang und mit Sturm. In diesem Jahre schien es schlimm zu werden. In mancher dunklen Nacht erscholl das Horn des Strandwächters und trieb die Menschen heraus. Eines Nachts stieg die Flut so weit, daß sie die Fischerkaten, nahe am Strande unterspülte. Die meisten Häuser standen höher, aber auch bis dahin stieg die Flut unter fortwährendem Heulen des Sturmes. Marie war mit der Magd ständig draußen, um den Männern zu helfen, wenn sie mit Booten Frauen und Kinder, auch Hausrat und Vieh in Sicherheit brachten. Aber plötzlich merkten sie, daß das Wasser noch immer stieg und sie selbst nun auch gefährdet waren. Im Schein von Fackeln und Laternen versuchten sie, mit dem Nötigsten bis zur Kirche zu gelangen. Diese bot noch Schutz, weil sie am höchsten gelegen war und starke Mauern hatte. In der Kirche suchte Marie nach der Mutter und der Großmutter, denn sie glaubte die beiden Frauen dort geborgen. Da hieß es auf einmal, vom Hause des Lotsen höre man noch Hilferufe von Frauen. Marie war wie gelähmt vor Entsetzen. Die ganze Nacht hatte sie den anderen mit allen Kräften geholfen. Wer hilft mir nun? dachte sie verzweifelt. Aber alle Menschen waren ermüdet und zermürbt und glaubten, das Rettungswerk sei vollendet. Maries Vater wollte allein noch einmal das Boot ins dunkle, wogende Wasser bringen. Doch die andern hielten ihn wortlos zurück, indem sie auf ein Boot wiesen, das mitten auf der Flut bereits seinem Hause zufuhr. Ohne ein Wort zu verlieren, hatte Knut, der junge Lotse, auf den Hilferuf der Frauen sein Boot sofort zu Wasser gebracht. Gewaltig schwankten die beiden Sturmlaternen auf und nieder, aber in letzter Minute gelang ihm die Rettung. Kaum hatte er die beiden Frauen im Boot, da riß das tosende Wasser Türen und Treppen ein und spülte alles fort. So schlimm wie in diesem Jahr hatte die grausige Sturmflut lange nicht am Strande der Ostsee gewütet. Groß waren Schaden und Not. Aber sobald sich die Fluten verlaufen hatten, begannen die Menschen wieder aufzubauen. Übers Jahr zu Pfingsten, als sich die Natur mit frischem Grün geschmückt hatte, sah das Fischerdorf ein junges, glückliches Paar, Knut und Marie. Der schönste Schmuck der Braut war eine Bernsteinkette aus herrlich glänzenden Perlen, das Geschenk der Bernsteinfee. Am Abend führte Marie ihren Mann zu der Stelle in den Dünen, wo ihr die Fee erschienen war. Wieder war ihr, als hörte sie es im hohen Dünengras leise rauschen und flüstern:
»Wer ihn trägt, des Meeres goldnen Stein,
wird nimmermehr vom Glück verlassen sein.«
Der Wunsch der Bernsteinfee war in Erfüllung gegangen, aus Not und tiefem Herzeleid war doch noch ihr Lebensglück erblüht.
 
Der kluge Kater und die dummen Affen
Der Kater saß vor dem Haus und schlummerte im Sonnenschein. Da kamen Affen herbeigelaufen, »Der Kater kletterte auf den Dachboden; die Affen nahmen Flegel und schlugen auf den User hbss ein. Das war eine tolle Geschichte! Die Wespen flogen heraus und hbss fing endlich mal an zu lesen. Und die restlichen User klickten, klickten und klickten, bis sie endlich 10 Cent zusammen hatten und haben leider nichts davon gesehen.

Hoppela, da scheint mein Rechtschreibprogramm einen Kurzen gehabt zu haben, keinen Kurzen aber bestimmt mehr als ein Bier trinke ich Morgen mit einem meiner Freunde, freu mich drauf! :D
Ach Ja, falls noch nicht erwähnt mir geht es richtig gut, auch wenn Ihr mir gestern nur still zugehört habt, habt Ihr mir richtig gut getan!!! BEDANKE MICH HIERMIT BEI EUCH und seid gewiß, die Sache hier bringe ich auch noch zu Ende ... Mist, schon wieder viel zu lange, wieviel Aktivitätslose hätte ich jetzt wohl bekommen können?! ... aber egal zumindest raptor230961 wird meinen Post lesen, er wird schließlich benachrichtigt ... HALLO raptor, Du hast meinen Respekt!
 
Vom Rübezahl
(Deutschland)
Rübezahl, der Geist des Riesengebirges, hatte oft seine Freude daran, den Menschen allerlei Streiche zu spielen; dabei erwies er den Armen aber mancherlei Wohltaten und strafte die Hartherzigen und Geizigen. Einmal wanderte ein armer Glashändler mit einer schweren Kiepe voll Glaswaren auf dem Rücken über das Gebirge. Da er recht müde geworden war, hätte er sich gerne etwas ausgeruht, aber nirgends war ein Felsvorsprung oder dergleichen zu sehen, worauf er seine Last hätte absetzen können. Rübezahl, der ihn eine Weile beobachtet und bald seine Gedanken erraten hatte, verwandelte sich schnell in einen Baumstamm, der nun am Wege lag. Erfreut ging der müde Wanderer darauf zu, setzte seine Last ab und sich auf den Stamm, um sich zu erholen. Kaum aber saß er da, so rollte der Stamm unter ihm weg, den Berg hinunter, und der Händler und die Scherben des Glases lagen am Boden. Traurig erhob sich der arme Mann, und als er seine zerbrochenen Schätze betrachtete, fing er bitterlich an zu weinen. Da kam Rübezahl, der wieder menschliche Gestalt angenommen hatte, auf ihn zu und fragte nach der Ursache seines Kummers. Treuherzig erzählte der Händler sein Unglück, und daß er bei seiner Armut nicht die Mittel zum Ankauf neuer Vorräte besitze. Rübezahl teilte dem Traurigen nun mit, wer er sei, und daß er ihm helfen wolle, wieder neue Glaswaren kaufen zu können. Nun verwandelte sich Rübezahl vor den Augen des erstaunten Mannes in einen Esel und gebot ihm, ihn zur nächsten Mühle zu führen. Der Müller brauche gerade einen Esel und würde ihm gerne ein so schönes Tier, wie er sei, abkaufen. Dann solle er sich aber um nichts Weiteres kümmern, sondern sich mit dem Gelde schnell fortmachen. Der Mann führte nun den Esel zur nächsten Mühle, und nachdem der knauserige Müller noch einen Taler vom geforderten Kaufpreis abgehandelt hatte, wurde das Grautier sein Eigentum. Der Händler nahm das Geld - er hatte noch zwei Taler mehr bekommen, als seine Glaswaren gekostet hatten - und machte sich damit schnell aus dem Staube. Der Müller freute sich recht über den guten, billigen Kauf, führte das muntere Eselein in den Stall und gab dem Knechte den Auftrag, demselben Futter zu geben. Darauf ging er in seine Stube. Sogleich aber kam der Knecht, vor Furcht und Entsetzen zitternd, ihm schon nachgelaufen und sagte: »Herr, der neue Esel ist behext! Ich habe ihm Heu gegeben, aber da rief er: Ich fresse kein Heu! Ich will Braten und Kuchen haben!« Der Müller wollte die Geschichte nicht glauben und ging mit in den Stall. Dort stand das Eselein ganz ruhig und still. Der Müller nahm nun eine Hand voll Heu, hielt es dem Tier hin und streichelte dasselbe. Der Graue aber nahm das übel, schlug mit dem Vorderfuß nach dem Müller und rief wieder: »Ich will Braten und Kuchen! Ich will Braten und Kuchen!« Entsetzt wich der Müller zurück. Der Esel aber drehte sich um, gab ihm noch einen Tritt mit den Hinterbeinen, so daß er ins Heu kugelte, und sprang dann durch die offene Tür hinaus ins Freie, wo er bald verschwunden war. Nachdem der Knecht seinem Herrn wieder auf die Beine geholfen hatte, rieb dieser sich die schmerzenden Glieder und jammerte: »Hätte ich doch meine zwölf Taler wieder! Mein schönes Geld!« Dem Müller aber war recht geschehen; denn er war geizig und hartherzig und hatte noch am Tage vorher einen armen Bauern um zwölf Taler betrogen, und Rübezahl hatte den Geizigen bestraft.
 
Warum Kiefer und Birke zusammenwohnen
(Deutschland)
Als Waldkönig schon viele tausend Jahre regierte, da kamen einmal alle Waldfürsten und Waldprinzen und Waldgrafen zu ihm und sagten: " Herr König, gebt uns ein Stück Land in Eurem Reiche, auf dem wir uns anbauen können, es ist gar eng bei uns, und unsere Brüder und Schwestern und Anverwandten haben keinen Platz mehr." "Gut", sagte der König, geht hin und sucht in meinem Reiche Land aus, wie ihr wollt und wo es euch dort gefällt. Aber baut es schön an, und wer das am schönsten macht, der soll die schöne Prinzessin zur Frau kriegen." Die schönste Prinzessin im ganzen Land aber war Junge Birke, die war zart und zierlich und schlank im Wuchs, hatte ein weißseidenes Kleid an und einen lichtgrünen Schleier darüber und war behängt mit lauter gelben und braunen Anhängerchen, die aussahen wie ganz klimperkleine und war behängt mit lauter gelben und braunen Anhängerchen, niedliche Lämmerschwänzchen. Und alle Waldprinzen und Waldfürsten und Waldgrafen hätten sie gar zu gern zur Frau gehabt. Darum gefiel ihnen auch der Vorschlag des Waldkönigs, und sie gingen aus und suchten sich ihr Land und bauten sich dort an.
Wie sie nun damit fertig waren, nahm Waldkönig Prinzess Birke und reiste mit ihr durchs ganze Land, zu sehen, wer's am besten gemacht hätte. Da kamen sie in eine schöne Stadt mit hohen Häusern und langen graden Straßen. Da hatte der stolze Fürst Kastanie sich angesiedelt, und alle seine Verwandten standen in Reih und Glied an den Straßen entlang, wie die Soldaten des Kaisers, der dort in der Straße wohnte und gerade Parade hielt. Das wäre so nach Waldkönigs Sinn gewesen, aber Prinzess Birke schüttelte ihr Köpfchen und ging weiter.
Dann kamen sie auf ein hübsches Dorf, da hatte Fürst Lindenblatt sich seine Wohnung gebaut, ei war's da freundlich! Kleine niedrige Bauernhäuser, und vor jedem ein schattiger Lindenbaum, um dessen Blüten die Bienchen summten. Waldkönig schmunzelte zufrieden aber Prinzess Birke schüttelte ihr Köpfchen und ging weiter.
So zogen sie durchs ganze Reich, sie kamen zu steilen Bergen, in denen sich Prinz Tannenzapfen sein Heim gebaut hatte, und an sanfte Hänge, wo Prinz Lärchenstamm wohnte, in welliges Hügelgelände mit fettem Boden, silbernen Strömen, ragenden Burgen, dem Gebiet des Herzogs von Eichwald und an das blaue schöne Meer, an dessen Ufern Fürst Buchecker sein wundervolles schön gepflegtes Land hatte, sie kamen in sumpfige Niederungen, wo Prinz Erle wohnte, und in saftige Wiesengründe, wo an schmalen Bächen und Gräben Graf Salweide seine neue Heimat gefunden hatte. Sie kamen an schön gepflegte Chausseen, an denen die beiden Grafen Ahorn und Esche sich und ihre Verwandten rechts und links aufgestellt hatten, um die hohen Herrschaften feierlich zu empfangen. Und der Waldkönig schien sehr befriedigt mit dem, was die Söhne seines Reiches geschaffen hatten, er war stolz darauf, dass all das Land nun so schön bestellt und bebaut war. Aber jedes Mal, wenn er Prinzess Birke fragte, ob es ihr nicht gefiele, sagte sie: "Herr König, lasst uns erst alles besehen, dann will ich sagen, welcher dann will ich sagen, welcher von allen Fürsten und Prinzen und Grafen es am besten gemacht hat."
Als sie nun schon fast alles gesehen hatte, fragte der Waldkönig: "Nun haben wir fast das ganze Reich bereist. Es ist nur noch ein Stück übrig, aber da wollen wir nur gar nicht erst hinreisen, denn da ist doch nichts los - lauter Sand und Heide, da wird's dir schon gar nicht gefallen." "Lasst uns auch dahin reisen", sagte Prinzess Birke. So machten sie sich auf und kamen in das Gebiet der sandigen Heide. Aber wie waren sie erstaunt, als sie dahin kamen! Da war das Land bedeckt mit einem schönen, grünen Wald, dunkelblaugrün schimmerten seine Kronen und rotgolden seine Stämme, kleine Seen mit ihren blanken Spiegeln blitzten dazwischen auf, und über den grauen und gelben Sand breitete Heidekraut einen zarten bläulich-roten Schein, und um das ganze Land wehte herbe, kräftige Luft. "Wer hat das fertig gebracht?", fragte erstaunt der Waldkönig. Da kam im braunen Kittel mit struppigen schwarzem Haar und Bart ein einfacher Arbeiter. "Verzeiht, Herr König", sagte er, "von Euren Fürsten und Prinzen und Grafen wollte niemand das Stück Land haben, denn es war ihnen zu arm und zu schlecht. Da bat ich sie, sie möchten mir's lassen, denn ich habe eine große Sippe, und wir sind alle arme Leute und zufrieden, wenn wir ein bisschen Sand und Wasser zum Leben haben. Da haben sie mir's aus Gnade und Barmherzigkeit gelassen, und ich habe mich mit meinen Leuten daran gemacht und es in Ordnung gebracht. Erlaubt mir, dass ich hier wohnen bleiben darf." Da trat Prinzess Birke zum Waldkönig und sprach: "Herr König, dieser arme Mann hat mehr geleistet als Eure Großen alle. Gebt mich ihm zur Frau." "Du hast Recht", sagte der König. Aber er ist doch ein armer Mann und du bist eine Prinzessin." "Das tut nichts, er hat doch aus einer Sandwüste ein Paradies gemacht." Da wandte sich der König an den Arbeiter:" Wie heißt Er, guter Freund?", fragte er ihn freundlich. "Ich heiße Föhre." "Gut. Er soll von nun an in den Grafenstand erhoben werden und Graf Kiefer heißen und Prinzessin Birke soll seine Frau sein." Seitdem leben Kiefer und Birke zusammen und führen ein glückliches Leben miteinander, wenn sie auch nur im Walde wohnen!
Der Wald steckt voller Geheimnisse. Seit Menschengedenken ranken sich um ihn Sagen, Mythen und Legenden.
 
Woher die Glockenblumen kommen
(Deutschland)
Der Waldkönig und die Waldkönigin lebten schon lange auf ihrem steinernen Schloß im grünen Wald ganz allein. Als aber einmal der böse Winter, der immer eine ganz lange Zeit bei ihnen wohnte, wieder davon gezogen war, um für ein paar Monate nach dem Nordpol auf Reisen zu gehen, da wurde ihnen eines Tages ein liebliches Töchterlein geschenkt. Das war ein feines, zartes Mägdelein mit sonnengoldenen Härchen und ein Paar Äuglein, blau wie Vergißmeinnicht. Da war große Freude im Waldschloß, und der Waldkönig wollte, alle Bewohner seines weiten Reiches sollten es wissen, daß ein kleines Prinzeßchen geboren sei, das Waldtraut heißen sollte. So rief er denn alle seine Hofbeamten zusammen und sprach: „Wer will mein Bote sein, der im ganzen Reich verkündigt, daß uns ein Prinzeßchen geschenkt ist?“ Da sagte die Schnecke: „Herr König, das will ich besorgen.“ „Gut,“ sagte der Waldkönig, „so spute dich, damit alle es bald erfahren.“ Aber die Schnecke dachte: „Das wird eine lange Reise werden! Und wenn ich dann einen Tag nach dem anderen laufen muß, wo finde ich eine Herberge, da ich ausruhen, wo ein Haus, da ich einkehren könnte? Ich will mir ein Häuschen machen, das ich überall mitnehmen kann, und in dem ich wohnen und schlafen kann.“ Und so machte sie sich ihr Häuschen und lud es auf aber das war schwer und drum gings langsam mit der Reise manchen Tag noch nicht eine halbe Meile! Als das der König hörte, wurde er sehr ungeduldig und böse und rief seine Hofbeamten und sagte: „Die Schnecke machts zu langsam, wer will mein Bote sein?“ Da sagte der Schmetterling: „Herr König, schickt mich, ich habe zwei schöne Flügelein, mit denen kann ich fliegen durch das ganze Reich.“ „Du hast recht,“ sagte der König: „So flieg und spute dich!“ Da breitete der Schmetterling seine zitronengelben Schwingen aus und wiegte sich im warmen Sonnenschein und flog von Blüte zu Blüte, von Halm zu Halm. Aber da kam er zu einer reizenden kleinen Wiesenblume, die lächelte ihn freundlich an. Da blieb er bei ihr sitzen, und sie liebkosten einander und plauderten zusammen, und über dem allen vergaß er beinahe, seine Botschaft zu bestellen. Und als er sich von dieser lieblichen Blüte doch losriß, fand er bald eine andere, bei der er sitzen blieb, und mit der er dasselbe Tändelspiel trieb und über all dem Gaukeln und Tändeln verstrich die Zeit. Als der König das hörte, wurde er zornig und rief abermals seine Hofbeamten zusammen und sagte: „Auch der Schmetterling ist ein unbrauchbarer Bote wer will mein Bote sein? Aber alle schwiegen, denn sie fürchteten, sie würden es dem König doch nicht recht machen. Da trat ein kleines, graues Männlein herzu, das hatte einen krummen Rücken und einen langen Bart und humpelte auf seinen kurzen Beinchen. „Herr König,“ sagte es, „gebt mir acht Tage Zeit und in acht Tagen sollen alle Eure Untertanen Botschaft haben.“ „Wie wolltet Ihr das fertig bringen, Meister Bimbam?“ fragte der König. „Ihr seid doch gar betagt und schlecht auf den Füßen!“ „Das laßt meine Sorge sein, Herr König; wollt Ihr meines Dienstes brauchen, so saget Ja.“ „Nun ja denn,“ sagte der König, weil doch kein anderer Bote zu haben war. Da humpelte Meister Bimbam gar eilig nach seiner Werkstatt und rief alle seine Gesellen zusammen. Und nun ging ein heimliches Klopfen und Hämmern los Tag und Nacht; die einen standen am Amboß und schmiedeten, die anderen machten ein mächtiges Feuer, die dritten gruben tiefe Gruben und gossen da flüssiges Feuer hinein. Wieder andere liefen durchs ganze Land und machten da heimlich allerlei zurecht. Und als acht Tage um waren, da rief Meister Bimbam seinen Obergesellen, der hieß Herr Mailüfterl, und sagte ihm: „Mailüfterl, wenn nun der Herr König ein Zeichen gibt, dann machst du deine Sache gut.“ „Das will ich schon tun, Meister.“ Da ging Meister Bimbam zum König und sagte: „Herr König, wenn Ihr nun befehlen wollt, so sollen in einer Stunde alle Eure Untertanen Botschaft haben. Gebt nur meinem Obergesellen ein Zeichen.“ Da winkte der König mit der Hand, und Mailüfterl sprang schnell hinaus. Ja, was war denn das? „Bim bamm, bim bamm“ klangs auf einmal rings umher, im Walde und auf der Wiese, am Berg und am Bach. „Bim bamm, bim bamm! Wir haben ein Prinzeßchen, das heißt Waldtraut, Waldtraut.“ Der König sah erstaunt zum Fenster hinaus da sah er überall im ganzen Reich schöne blau Glocken hängen, die läuteten die Botschaft von Prinzeßchens Geburt hinaus über alle Lande. Seitdem läuten die Glockenblumen jahraus, jahrein, so oft Prinzeßchens Geburtstag wiederkommt und Herr Mailüfterl ist Königlicher Hofglöckner geworden.
 
Wie der Hirsch zu seinem schönen Geweih kam
(Deutschland)
Als Prinzeßchen Waldtraut einmal im Walde spazieren ging, kam ein kleines, feines Männlein des Weges, das hatte eine schöne, hellgrau und schwarz gestreifte Weste an und einen schönen dunkelgrauen Rock und machte eine sehr artige Verbeugung und sagte: „Ei, guten Tag, schönes Prinzeßchen; ich bin der Prinz Gauch. Wollt Ihr nicht mit mir ein bißchen spielen?“ Weil nun Prinzeßchen so gern spielte, sagte es gleich „Ja“ und klatschte vor Freude in die Händchen, und gleich fingen sie an, Haschen zu spielen und sich zu verstecken. Das war nun dem Prinzen Gauch sein Lieblingsspiel. Als er am Verstecken war, da verkroch er sich ganz hinter einen grünen Baum und rief: „Kuck-kuck, Kuck-kuck! Such mich doch!“ „Ich werde dich schon finden,“ rief Prinzeßchen und lief an die Stelle, von wo er gerufen hatte. Aber wie sie dort war, da riefs schon aus einer ganz anderen Ecke des Waldes: „Kuck-kuck, Kuck-kuck! Such mich doch!“ Da lief Prinzeßchen dort hin. Aber Prinz Gauch war doch schneller, und ehe sie dort war, war er schon wieder woanders und rief aus der entgegengesetzten Ecke: „Kuck-kuck, Kuck-kuck! Such mich doch!“ So ging das Spiel eine ganze Weile hin und her und kreuz und quer im Walde, und Prinzeßchen merkte gar nicht, wie weit es von seines Vaters Schloß weggekommen war. Und auf einmald war es ganz nahe bei des bösen Riesen Schnarcher Burg angekommen. Die stand mit ihren trotzigen grauen Mauern ganz drohend vor Prinzeßchens Augen. Da bekam es aber einen großen Schreck. Denn der Riese Schnarcher war ein arger Räuber. Wie es noch ganz betäubt dastand, da hörte es auf einmal, wie der Riese Schnarcher ganz laut lachte und mit seiner groben, schnarrenden Stimme sagte: „Gauch, das hast du gut gemacht; nun kann ich Prinzeßchen fangen und braten; das gibt ein schönes Frühstück.“ Da merkte Prinzeßchen, daß Prinz Gauch sie betrogen und mit Absicht dahin gelockt hatte. Denn er war gar kein richtiger Prinz, sondern dem Riesen Schnarcher sein schlauer Diener. Der war von klein auf von seiner Mutter verlassen, bei fremden Leuten aufgewachsen, hatte aber bei denen ihren eigenen Kindern das Brot weggenommen und sie alle aus dem Hause gejagt, war dann aber selbst in die weite Welt gegangen, trieb sich herum, wohnte bald hier, bald da, ein Taugenichts und Tunichtgut, der sich sein Brot damit verdiente, daß er den bösen Riesen mit seinem Versteckspielen in ihr Reich lockte, wen sie haben wollten. Und Schnarcher hatte schon längst Prinzeßchen Waldtraut auffressen wollen, weils so appetitlich aussah. Da hatte er den Gauch gedungen, daß er sie ihm verschaffen sollte, und das arme Prinzeßchen war wirklich ins Garn gegangen. Armes Prinzeßchen! Wie ihm sein Herzchen schlug! Wie sollte es nur schnell wieder entfliehen können! Seine Flüßchen waren ihm vom Laufen so müde, daß es gar nicht mehr drauf stehen konnte. Ach, wenn doch einer käme und es mitnähme! Da flog gerade ein schöner Schmetterling vorüber. „Ach, bitte, bitte, nimm mich auf deine Flügelchen!“ schrie Prinzeßchen, „und trag mich nach Hause!“ „Das kann ich nicht,“ sagte Schmetterling, „da würden meine schönen Flügelchen häßlich: die darf man nicht anrühren!“ Und weil er so eitel war, flog er weiter und ließ Prinzeßchen sitzen. Da kroch ein Käferlein vorüber. „Ach, bitte, bitte, setz mich auf deinen Rücken und nimm mich mit und trag mich nach Hause!“ schrie Prinzeßchen. Aber Käferchen antwortete: „Das kann ich nicht; du bist mir zu schwer. Da würde ich müde, und dann könnten wir beide nicht weiter.“ Da hüpfte ein lustiges Wässerlein vorüber: „Ach, bitte, bitte, nimm mich mit und trage mich nach Hause.“ Aber Wässerlein antwortete: „Wie gern nähme ich dich mit, aber auf meinem Wege liegen so viele Steinchen, da würde ich mit dir stolpern, und wir brächen uns die Beinchen und kämen beide nicht weiter!“ Da wurde Prinzeßchen ganz traurig; denn es hörte schon, wie Schnarcher seinen Ofen heizte und sah schon, wie blaue Rauchwolken aufstiegen, und es hatte ganz schreckliche Angst und fing bitterlich an zu weinen. Da auf einmal stand ein schöner brauner Hirsch vor ihm, der sah es mit seinen schönen klugen Augen an und sagte: Prinzeßchen, ich kann ganz schnell laufen. Setzt Euch nur getrost auf meinen Rücken, ich bringe Euch ganz schnell nach Hause.“ O, wie fix sprang da Prinzeßchen auf seine Füße; der Hirsch kniete vor ihr nieder und Prinzeßchen stieg auf seinen Rücken, umschlang seinen Hals mit seinen Ärmchen und fort gings wie der Wind; hui, wie die Zweige knackten! Wie der Hirsch über Gräben hinwegsprang, den Berg hinunter und hinauf. Der Riese Schnarcher schimpfte hinterher, aber er konnte sie nicht kriegen, denn der Hirsch lief ganz schnell bis zu Waldkönigs Schloß. Waldkönig und Waldkönigin waren schon in großer Angst um ihr Töchterlein gewesen und hatten ausrufen lassen, daß, wer ihnen ihr Prinzeßchen wiederbrächte, der sollte eine schöne Krone zum Lohn bekommen. Oh wie freuten sie sich, als sie ihr Töchterchen ankommen sahen, und Prinzeßchen ihnen erzählte, wie der gute Hirsch sie gerettet hätte. Waldkönig aber sagte zum Hirsch: „Weil du mir mein Prinzeßchen wiedergebracht hast, darum sollst du die Krone bekommen“ und Frau Waldkönigin setzte sie ihm selber auf. Seitdem trägt der Hirsch sein schönes Geweih.
 
Von der stolzen Tanne
(Deutschland)
Vor langer, langer Zeit lebte einmal in einem wunderschönen Tal ein Tannenmütterchen mit seinen vielen hundert Kinderchen. Als Tannenmütterchen alt wurde und es zum Sterben ging, da rief es alle seine Kinderchen zu sich und sagte: „Kinderchen, haltet immer hübsch zusammen und vertragt euch miteinander; Einigkeit macht stark! Und bleibt immer hübsch bescheiden; denn Hochmut kommt vor dem Fall!“ Das versprachen die Tannenkinderchen auch. Und als Tannenmütterchen gestorben war, da wohnten sie alle zusammen friedlich und fröhlich und ganz dicht beieinander. Freilich, je größer sie wurden, um so knapper wurde der Raum, um so spärlicher die Nahrung, um so mehr mußten sie sich recken und strecken, wenn sie einen Sonnenstrahl erhaschen wollten. Aber sie hielten treu zusammen, und abends, wenn der Abendwind wehte, dann steckten sie ihre Köpfchen zusammen und erzählten sich leise, was sie am Tage erlebt und erlauscht hatten. Nur eine von ihren Schwestern hatte Tannenmütterchens Ratschläge schnell vergessen. Unter den vielen Geschwistern gefiels ihr nicht; da konnte sie sich gar nicht breit machen, da mußte sie sich nach allen anderen richten und mußte sich rücken und ducken. Das paßte ihr nicht. Da wars doch da draußen viel lustiger und schöner So hatte sie für sich ganz allein oben am Berge ein Plätzchen gesucht; ei, wie da die Sonne warm schien, wie sie da sich strecken und sich dehnen konnte, wie sie da weit ins Land schauen und über ihre Schwestern hinwegsehen konnte! Und wirklich, sie wurde die schönste Tanne im ganzen Lande; hoch und schlank war sie gewachsen; ihre Arme breitete sie wie zum Segen nach allen Seiten aus, ihr grünes Kleid schleppte beinahe bis auf die Erde, und alle Menschen bewunderten sie und freuten sich ihrer Schönheit, und sie selbst sah stolz im Wasserspiegel zu ihren Füßen ihr Bild. Ob ihre Schwestern und Brüder nicht neidisch zu ihr aufblickten? ... Da kam ins Land ein böser, böser Gast, das war der Riese Herbst mit seinen Dienern Sturm und Wetter. Der fuhr auf seinem schnaubenden, schweißtriefenden Wolkenroß durch das Land, und wehe, wer sich ihm trotzig widersetzte, den schlug er mit eiserner Faust nieder und warf ihn in den Staub. Nun kam er auf seinem wilden Ritt auch zu dem Bergtal, in dem die Tannengeschwister wohnten. Hu, wie er fauchte und drohte! Wütend stürzte er sich auf die Tannengeschwister. Ängstlich duckten sie die Köpfe und schmiegten sich dicht aneinander, ächzend und stöhnend bogen sie sich unter seinen Streichen—aber sie hielten ihnen tapfer Stand, denn eins schütze und stützte das andere, und die draußen am Wiesenrande standen, die breiteten ihre starken Arme wie zum Schutz vor ihre Geschwister—da mußte der böse Riese Herbst polternd weiterziehen. Oh weh, wie sahen sie aus? Zerzaust und zerrissen waren ihre Kleider, die einen hatten ihren Arm gebrochen und die anderen hatten sich kaum noch auf den Füßen halten können. Aber sie waren doch alle mit dem Leben davongekommen, denn sie hatten treulich zusammengehalten. Wie sie sich von ihrer Angst erholt hatten, da sahen sie sich nach ihrer Schwester um—aber welch ein Schreck fuhr da in ihre Glieder! Da lag die stolze Tanne am Boden mit ihrer ganzen schönen Pracht. Des Riesen Diener Sturm hatte sie gepackt und ein leichtes Spiel gehabt—denn sie hatte niemanden, der sie schützte. Die Tannengeschwister aber flüsterten sich leise zu: „Arme Schwester, wärst du bei uns geblieben, wir hätten die gehalten. Warum warst du zu stolz dazu?“
 
Woher der Fliegenpilz seine weißen Flecken hat
(Deutschland)
Früher hatten die kleinen Pilzkinderchen keine Hütchen auf dem Kopf; da wurden sie immer pitsche-patsche-naß, wenn sie im Regen in den Wald liefen. Und das taten sie doch so gern; denn da war das Moos so schön grün und frisch und die Pfützchen im Wald so schön tief, daß sie tüchtig drin herumplantschen konnten, und Pilzmütterchen hatte gesagt, wenn man in den Maienregen liefe, dann würde man groß, und sie wollten doch auch gern groß werden. Aber einmal hatte es so fürchterlich geregnet, und sie waren so durchnäßt, daß sie alle den Schnupfen kriegten und ins Bettchen mußten. Da beschloß Pilzmütterchen, ihren Kinderchen zu Weihnachten schöne Hütchen zu schenken. Und richtig, wie Weihnachten kam, fanden sie alle auf ihren Plätzen Hütchen. Ei, wie sie sich da freuten und stolz waren! Champignon hatte eine weiße Kapuze mit rosaseidenem Futter bekommen, Musseron ein kleines flaches graubraunes Mützchen. Baumschwamm setzte sich gleich seine breite Schirmmütze auf und lief zu seinem Freund Weidenstrunk, um sie ihm zu zeigen. Halimasch stülpte sich seine runde, braune Lederkappe auf und rannte, was er konnte, hinaus auf die Chaussee, um sie dort von allen, die vorübergingen, bewundern zu lassen. Reitzker schmückte sich mit einem flachen breiten Hut mit Fransen und gelblichem gefältelten Futter, und Steinpilz stolzierte gravitätisch mit seinem glänzenden braunen Helm einher. Nur einer war nicht zufrieden mit seinem Hut, das war Monsieur Fliegenpilz. Das war überhaupt so ein Schlingel, der immer in giftigem Neid sich erbosen konnte, wenn seine Geschwister Spielzeug oder andere Sachen bekamen, die er nicht besaß. Der hatte einen schönen weißen Hut bekommen, aber ihm war er nicht schön genug; ja Pfifferling, der kleine lustige Schelm mit seinem keck aufgekrempten Hütchen oder Morchel mit seiner schwarzen Tscherkessenmütze, die hatten es viel schöner. Wenn er doch auch einen bunten Hut hätte. Da kam ihm ein guter Einfall. Dort im Walde wohnte ja sein Freund, der Zwerg Klecksel, der jedes Jahr im Frühling all die Blumen und im Herbst all die Blätter im Walde bunt anzustreichen hatte. Zu dem wollte er gehen und sich seinen Hut färben lassen. Und richtig, heimlich schlüpfte er fort und suchte Klecksel auf. Leider traf er ihn nicht zu Hause. Aber was schadete es! Da standen ja seine bunten Farbentöpfe gelb und grün und braun und lila und rot! Ja rot, das wäre fein! Einen roten Hut hatte kein anderes Pilzkind. Also, was machte er? Flugs den Hut vom Kopfe und hineingetunkt in den roten Farbtopf und dann flink wieder nach Hause! Als er nach Hause kam, wollte gerade Pilzmütterchen mit ihren Kinderlein spazieren gehen. Natürlich, da mußte er mit. Stolz setzte er seinen roten Hut auf und alle sagten „Ah!“ und „Oh!“, als sie den sahen. Nur Pilzmütterchen sagte gar nichts, aber sie dachte in ihrem Herzen, daß das doch gar nicht schön von Fliegenpilz sei. Kaum waren sie ein halbes Stündchen gegangen, da fing es an zu regnen. Hei, wie sich die Pilzkinderchen freuten, daß sie ihre Hütchen auf den Köpfchen hatten und nun nicht naß wurden! Aber sie kehrten doch wieder lieber um. Zu Hause angekommen, setzten sie ihre Hüte ab, um sie an den Nagel zu hängen zum Trocknen. Auch Fliegenpilz nahm seinen Hut herunter aber, oh weh, wie sah der aus! Die Farbe war noch nicht trocken gewesen, als er ihn in der Geschwindigkeit aufgesetzt hatte, und überall, wo ein Regentröpflein draufgefallen war, war ein weißer Fleck! Als er das sah, fing er an bitterlich zu weinen; so ärgerte er sich. Dann warf er wütend seinen verdorbenen Hut in die Ecke und wollte sich hinausschleichen; denn eigentlich schämte er sich vor den anderen Pilzkinderchen. Aber Pilzmütterchen sagte: „Siehst du, wärst du hübsch zufrieden gewesen mit deinem Hute, so hättest du nun einen schönen, sauberen, weißen Hut; nun mußt du immer den roten Hut mit den weißen Flecken tragen!“
 
Der Klapperstorch
(Deutschland)
Wovon die Beine der Teckel so kurz sind, und dass sie sich dieselben abgelaufen haben, weiß jeder. Wie aber der Storch zu seinen langen Beinen gekommen ist, das ist eine ganz andere Geschichte. Drei Tage nämlich, ehe der Storch ein kleines Kind bringt, klopft er mit seinem roten Schnabel an das Fenster der Leute, welche es bekommen sollen, und ruft:
"Schafft eine Wiege,
Ein' Schleier für Fliegen,
Ein buntes Röcklein,
Ein weißes Jäcklein,
Mützchen und Windel:
Bring' ein klein Kindel!"
Dann wissen die Leute, woran sie sind. Doch zuweilen, wenn er sehr viel zu tun hat, vergisst er es, und dann gibt's große Not, weil nichts fertig ist. Bei zwei armen Leuten, welche im Dorf in einer kleinen Hütte wohnten, hatte es der Storch auch vergessen. Als er mit dem Kinde kam, war niemand zu Hause. Mann und Frau waren auf Feldarbeit gegangen und Türe und Fenster verschlossen; auch war nicht einmal eine Treppe vor dem Hause, auf die er es hätte legen können. Da flog er aufs Dach und klapperte so lange, bis das ganze Dorf zusammenlief und eine alte Frau eilends aufs Feld hinaussprang, um die Leute zu holen. "Herr Nachbar, Frau Nachbarin! Herr Nachbar, Frau Nachbarin!" rief sie schon von weitem, ganz außer Atem, "um Gottes Willen! Der Storch sitzt auf eurem Hause und will euch ein kleines Kind bringen. Niemand ist da, der ihm das Fenster aufmachen kann. Wenn ihr nicht bald kommt, lässt er's fallen, und 's gibt ein Unglück. Oben beim Müller hat er es vor drei Jahren auch fallen lassen, und das arme Wurm ist heute noch bucklig." Da liefen die beiden Hals über Kopf nach Haus und nahmen dem Storche das Kind ab. Wie sie es besahen, war es ein wunderhübscher kleiner Junge, und Mann und Frau waren vor Freude außer sich. Doch der Storch hatte sich über das lange Warten so geärgert, dass er sich vornahm, ganz bestimmt den beiden Leuten nie wieder ein Kind zu bringen. Als sie endlich kamen, sah er sie schon ganz schief und ärgerlich an, und während er fortflog, sagte er noch: "Heute wird's auch wieder spät werden, ehe ich zu meiner Frau Storchen in den Sumpf komme. Ich habe noch zwölf Kinder auszutragen, und es ist schon spät. Das Leben wird einem doch recht sauer!" Doch die beiden Leute hatten in ihrer Herzensfreude es gar nicht bemerkt, dass sich der Storch so schwer geärgert. Eigentlich war er ja auch ganz allein daran schuld, dass er so lange hatte warten müssen, weil er es ihnen doch vergessen hatte, es ihnen vorher zu sagen. Wie nun das Kind wuchs und täglich hübscher wurde, sagte eines Tages die Frau: "Wenn wir dem guten Storch, der uns das wunderhübsche Kind gebracht hat, nur irgendetwas schenken könnten, was ihm Spaß macht! Weißt du nichts? Mir will gar nichts einfallen!" "Das wird schwer halten," erwiderte der Mann; "er hat schon alles!" Am nächsten Morgen jedoch kam er zu seiner Frau und sagte zu ihr: "Was meinst du, wenn ich dem Storch beim Tischler ein paar recht schöne Stelzen machen ließe? Er muss doch immer in den Sumpf, um Frösche zu fangen, und dann wieder in den großen Teich hinterm Dorf, aus dem er die kleinen Knaben herausholt. Da muss er doch sehr oft nasse Füße bekommen! Ich dächte auch, er hätte damals, als er zu uns kam, ganz heiser geklappert." "Das ist ein herrlicher Einfall!" entgegnete die Frau. "Aber der Tischler muss die Stelzen recht schön rot lackieren, damit sie zu seinem Schnabel passen!" "So?" sagte der Mann; "meinst du wirklich rot? Ich hatte an Grün gedacht." "Aber, bester Schatz!" fiel die Frau ein, "wo denkst du hin? Ihr Männer wisst doch niemals, was zusammenpasst und gut steht. Sie müssen unbedingt rot sein!" Da nun der Mann sehr verständig war und stets auf seine Frau hörte, so bestellte er denn wirklich rote Stelzen, und als sie fertig waren, ging er an den Sumpf und brachte sie dem Storch. Und der Storch war sehr erfreut, probierte sie gleich und sagte: "Eigentlich war ich auf euch recht böse, weil ihr mich damals so lange habt warten lassen. Weil ihr aber so gute Leute seid und mir die schönen roten Stelzen schenkt, so will ich euch auch noch ein kleines Mädchen bringen. Heute über vier Wochen werde ich kommen. Dass ihr mir dann aber auch hübsch zu Hause seid, und express es erst noch einmal ansagen werde ich nun nicht. Den Weg kann ich mir sparen! - Hörst du?" "Nein, nein!" erwiderte der Mann. "Wir werden sicher zu Hause sein. Du sollst diesmal keinen Ärger davon haben." Als die vier Wochen um waren, kam richtig der Storch geflogen und brachte ein kleines Mädchen; das war noch hübscher als der kleine Junge, und war nun gerade das Pärchen voll. Auch blieben beide Kinder hübsch und gesund, und die Eltern auch, so dass es eine rechte Freude war. Nun wohnte aber im Dorf noch ein reicher Bauer, der besaß ebenfalls nur einen Knaben, und der war noch dazu ziemlich garstig, und der Bauer wünschte sich auch noch ein Mädchen dazu. Als er vernahm, wie es die armen Leute angefangen, dachte er bei sich, es könne ihm gar nicht fehlen. Er ging sofort zum Tischler und bestellte ebenfalls ein paar Stelzen, viel schöner wie die, welche die armen Leute hatten anfertigen lassen. Oben und unten mit goldenen Knöpfen und in der Mitte grün, gelb und blau geringelt. Als sie fertig waren, sahen sie in der Tat ungewöhnlich schön aus. Darauf zog er sich seinen besten Rock an, nahm die Stelzen unter den Arm und ging hinaus an den Sumpf, wo er auch gleich den Storch fand. "Ganz gehorsamer Diener, Euer Gnaden!" sagte er zu ihm und machte ein tiefes Kompliment. "Meinst du mich?" fragte der Storch, der auf seinen schönen roten Stelzen behaglich im Wasser stand. "Ich bin so frei!" erwiderte der Bauer. "Nun, was willst du?" "Ich möchte gern ein kleines Mädchen haben, und da hat sich meine Frau erlaubt, Euer Gnaden ein kleines Geschenk zu schicken. Ein Paar ganz bescheidene Stelzen." "Da mach nur, dass du wieder nach Hause kommst!" entgegnete der Storch, indem er sich auf einem Bein umdrehte und den Bauer gar nicht wieder ansah. "Ein kleines Mädchen kannst du nicht bekommen; und deine Stelzen brauche ich auch nicht! Ich habe schon zwei sehr schöne rote, und da ich meist nur eine auf einmal benutze, so werden sie wohl sehr lange vorhalten. - Außerdem sind ja deine Stelzen ganz abscheulich hässlich. Pfui! blau, grün und gelb geringelt wie ein Hanswurst! Mit denen dürfte ich ja der Frau Storchen gar nicht unter die Augen kommen." Da musste der Bauer mit seinen Stelzen abziehen, und ein kleines Mädchen hat er sein Lebtag nicht bekommen.
 
Der kleine Vogel
(Richard von Volkmann-Leander)
Ein Mann und eine Frau wohnten in einem hübschen kleinen Hause, und es fehlte ihnen nichts zu ihrer vollen Glückseligkeit. Hinter dem Hause war ein Garten mit schönen alten Bäumen, in dem die Frau die seltensten Pflanzen und Blumen zog. Eines Tages ging der Mann im Garten spazieren, freute sich über die herrlichen Gerüche, welche die Blumen ausströmten, und dachte bei sich selbst: "Was du doch für ein glücklicher Mensch bist und für eine gute, hübsche, geschickte Frau hast!" Wie er das so bei sich dachte, da bewegte sich etwas zu seinen Füßen. Der Mann, der sehr kurzsichtig war, bückte sich und entdeckte einen kleinen Vogel, der wahrscheinlich aus dem Neste gefallen war und noch nicht fliegen konnte. Er hob ihn auf, besah ihn sich und trug ihn zu seiner Frau. "Herzensfrau", rief er ihr zu, "ich habe einen kleinen Vogel gefangen; ich glaube, es wird eine Nachtigall!" "Lieber gar!" antwortete die Frau, ohne den Vogel auch nur anzusehen; "wie soll eine junge Nachtigall in unseren Garten kommen? Es nisten ja keine alten drin." "Du kannst dich darauf verlassen, es ist eine Nachtigall! Übrigens habe ich schon einmal eine in unserem Garten schlagen hören. Das wird herrlich, wenn sie groß wird und zu singen beginnt! Ich höre die Nachtigallen so gern!" "Es ist doch keine!" wiederholte die Frau, indem sie immer noch nicht aufsah; denn sie war gerade mit ihrem Strickstrumpfe beschäftigt, und es war ihr eine Masche heruntergefallen. "Doch, doch!" sagte der Mann, "ich sehe es jetzt ganz genau!" und hielt sich den Vogel dicht an die Nase. Da trat die Frau heran, lachte laut und rief: "Männchen, es ist ja bloß ein Spatz!" "Frau", entgegnete hierauf der Mann und wurde schon etwas heftig, "wie kannst du denken, dass ich eine Nachtigall gerade mit dem Allergemeinsten verwechseln werde, was es gibt! Du verstehst gar nichts von Naturgeschichte, und ich habe als Knabe eine Schmetterlings- und eine Käfersammlung gehabt." "Aber, Mann, ich bitte dich, hat denn wohl eine Nachtigall einen so breiten Schnabel und einen so dicken Kopf?" "Jawohl, das hat sie; und es ist eine Nachtigall!" "Ich sage dir aber, es ist keine; höre doch, wie er piepst!" "Kleine Nachtigallen piepsen auch." Und so ging es fort, bis sie sich ganz ernstlich zankten. Zuletzt ging der Mann ärgerlich aus der Stube und holte einen kleinen Käfig. "Dass du mir das eklige Tier nicht in die Stube setzt!" rief ihm die Frau entgegen, als er noch in der Türe stand. "Ich will es nicht haben!" "Ich werde doch sehen, ob ich noch Herr im Hause bin!" antwortete der Mann, tat den Vogel in den Käfig, ließ Ameiseneier holen und fütterte ihn - und der kleine Vogel ließ sich's gut schmecken. Beim Abendessen aber saßen der Mann und die Frau jeder an einer Tischecke und sprachen kein Wort miteinander. Am nächsten Morgen trat die Frau schon ganz früh an das Bett ihres Mannes und sagte ernsthaft: "Lieber Mann, du bist gestern recht unvernünftig und gegen mich sehr unfreundlich gewesen. Ich habe mir eben den kleinen Vogel noch einmal besehen. Es ist ganz sicher ein junger Spatz; erlaube, dass ich ihn fortlasse." "Dass du mir die Nachtigall nicht anrührst!" rief der Mann wütend und würdigte seine Frau keines Blickes. So vergingen vierzehn Tage. Aus dem kleinen Häuschen schienen Glück und Friede auf immer gewichen zu sein. Der Mann brummte, und wenn die Frau nicht brummte, weinte sie. Nur der kleine Vogel wurde bei seinen Ameiseneiern immer größer, und seine Federn wuchsen zusehends, als wenn er bald flügge werden wollte. Er hüpfte im Käfig umher, setzte sich in den Sand auf dem Boden des Käfigs, zog den Kopf ein und plusterte die Federn auf, indem er sich schüttelte, und piepste und piepste - wie ein richtiger junger Spatz. Und jedes Mal, wenn er piepste, fuhr es der Frau wie ein Dolchstich durchs Herz.
Eines Tages war der Mann ausgegangen, und die Frau saß weinend allein im Zimmer und dachte darüber nach, wie glücklich sie doch mit ihrem Manne gelebt habe; wie vergnügt sie von früh bis zum Abend gewesen seien und wie ihr Mann sie geliebt - und wie nun alles, alles aus sei, seit der verwünschte Vogel ins Haus gekommen. Plötzlich sprang sie auf, wie jemand, der einen raschen Entschluss fasst, nahm den Vogel aus dem Käfig und ließ ihn zum Fenster in den Garten hinaushüpfen. Gleich darauf kam der Mann. "Lieber Mann", sagte die Frau, indem sie nicht wagte, ihn anzusehen, "es ist ein Unglück passiert; den kleinen Vogel hat die Katze gefressen." "Die Katze gefressen?" wiederholte der Mann, indem er starr vor Entsetzen wurde; "die Katze gefressen? Du lügst! Du hast die Nachtigall absichtlich fortgelassen! Das hätte ich dir nie zugetraut. Du bist eine schlechte Frau. Nun ist es für ewig mit unserer Freundschaft aus!" Dabei wurde er ganz blass, und es traten ihm die Tränen in die Augen. Wie dies die Frau sah, wurde sie auf einmal inne, dass sie doch ein recht großes Unrecht getan habe, den Vogel fortzulassen, und laut weinend eilte sie in den Garten, um zu sehen, ob sie ihn vielleicht dort noch fände und haschen könnte. Und richtig, mitten auf dem Wege hüpfte und flatterte das Vögelchen; denn es konnte immer noch nicht ordentlich fliegen. Da stürzte die Frau auf dasselbe zu, um es zu fangen, aber das Vögelchen huschte ins Beet und vom Beet in einen Busch und von diesem wieder unter einen anderen, und die Frau stürzte in ihrer Herzensangst hinter ihm her. Sie zertrat die Beete und Blumen, ohne im geringsten darauf zu achten, und jagte sich wohl eine halbe Stunde lang mit dem Vogel im Garten herum. Endlich erhaschte sie ihn, und purpurrot im Gesicht und mit ganz verwildertem Haar kam sie in die Stube zurück. Ihre Augen funkelten vor Freude, und ihr Herz klopfte heftig. "Goldner Mann", sagte sie, "ich habe die Nachtigall wieder gefangen. Sei nicht mehr böse; es war recht hässlich von mir!" Da sah der Mann seine Frau zum ersten Male wieder freundlich an, und wie er sie ansah, meinte er, dass sie noch nie so hübsch gewesen wäre wie in diesem Augenblicke. Er nahm ihr den kleinen Vogel aus der Hand, hielt ihn sich wieder dicht vor die Nase, besah ihn sich von allen Seiten, schüttelte den Kopf und sagte dann: "Kindchen, du hattest doch recht! Jetzt sehe ich's erst; es ist wirklich nur ein Spatz. Es ist doch merkwürdig, wie sehr man sich täuschen kann." "Männchen", erwiderte die Frau, "du sagst mir das bloß zuliebe. Heute sieht mir der Vogel wirklich selbst ganz wie eine Nachtigall aus." "Nein, nein!" fiel ihr der Mann ins Wort, indem er den Vogel noch einmal besah und laut lachte, "es ist ein ganz
gewöhnlicher - Gelbschnabel." Dann gab er seiner Frau einen herzhaften Kuss und fuhr fort: "Trag ihn wieder in den Garten und lass den dummen Spatz, der uns vierzehn Tage lang so unglücklich gemacht hat, fliegen." "Nein", entgegnete die Frau, "das wäre grausam! Er ist noch nicht recht flügge, und die Katze könnte ihn wirklich kriegen. Wir wollen ihn noch einige Tage füttern, bis ihm die Federn noch mehr gewachsen sind, und dann - dann wollen wir ihn fliegen lassen!"
Die Moral von der Geschichte aber ist: wenn jemand einen Spatz gefangen hat und denkt, es sei eine Nachtigall - sag's ihm beileibe nicht; denn er nimmt's sonst übel, und später wird er's gewiss von selbst merken.
 
Elend währt bis an den jüngsten Tag
(Deutschland)
Apostel Petrus und Paulus machten einmal zusammen eine Reise, und als es Abend wurde, kamen sie miteinander an ein prächtiges steinernes Haus, darin wohnte ein reicher Geizhals. Die Apostel fragten eine Magd, welche im Bache vor diesem Hause Zeug spülte, ob sie dort übernachten könnten. Die Magd sagte, das werde ihr Herr aus Geiz nimmermehr zugeben, erbot sich aber, die Fremden zu ihrem Bruder zu bringen, der ein armes Bäuerlein war. Er hieß Elend, hatte nicht Weib und Kind, und wohnte gleich nebenan in einer dürftigen Hütte. Das Bäuerlein hüpfte vor Freuden fast bis an die Decke seiner niedern Stube, weil es einmal zu einem Besuch kam. Es bot den beiden Aposteln sogleich an, dass sie sich Beide in sein Bett legen sollten, und wollte selbst auf dem harten Boden der Stube übernachten. Allein der Apostel Paulus sagte: "Leg du dich nur mit Petrus ins Bett, denn ich muss ohnehin die Nacht aufbleiben, weil ich zwei Briefe zu schreiben habe, den einen an die Korinther und den andern an den Timotheus; der hat einen so schwachen Magen, da will ich ihm schreiben, dass er sich den Durst mit Wein stillen soll." Da legte sich der Bauer mit Petrus ins Bett, und der Apostel Paulus schrieb an die Korinther und an den Timotheus. Am andern Morgen aber sagten die Apostel zu dem Bäuerlein, dass es sich eine Gnade ausbitten sollte. Da sagte es: es hätte nichts in seinem ganzen Vermögen als einen Birnbaum und von dem würden ihm so oft Birnen gestohlen. Da hätte es nun den sehnlichen Wunsch, dass Niemand, der auf den Baum heraufstiege, ohne seine besondere Erlaubnis wieder herunter könnte. Du wünschest sehr mäßig, sprachen die Apostel, und deine Bitte soll erfüllt werden. Darauf gingen sie ihres Weges.
Es dauerte aber nicht lange, da saß einmal des Morgens der reiche Geizhals, der dem Bauer gegenüber wohnte, auf dem Birnbaume. Der hatte wollen in der Nacht dem Armen Birnen stehlen und schrie gewaltig, als er sah, dass er von dem Baume nicht wieder herunter konnte. Elend aber klatschte vor Freuden in die Hände, als er seinen reichen Nachbar auf dem Birnbaume erblickte, und rief alle Nachbarn herbei, dass sie ihn dort sitzen sähen. Endlich versprach der reiche Geizhals, dass er ihm jeden Sonntag Mittag durch seine Schwester ein Huhn im Topfe schicken wolle. Da klatschte der Bauer Elend von neuem in die Hände, und ließ den Geizhals sogleich vom Birnbaume herunter. Von dieser Zeit an hat der Bauer auch richtig jeden Sonntag sein Huhn im Topfe gehabt, solange seine Schwester und der reiche Geizhals lebten.
Die waren aber Beide schon gestorben, als eines Tages auch zu Elend der Tod kam. Das Bäuerlein war jetzt schon ganz zusammengekrümmt, wie nun so ein Bäuerlein auf seine alten Tage eben ist. So saß der Elend auf der Bank vor seinem Hause, und als der Tod erschien, war er ganz freundlich, dass einmal wieder Jemand zu ihm kam. Als nun der aber sagte, dass er der Tod sei, da sprach Elend: "Lieber Tod! ich habe nur den einen Wunsch, dass ich noch vor meinem Ende einmal Birnen von meinem Birnbaume essen kann. Hättest du nicht auch ein Lüstchen darauf?" (Hier schmunzelte der Tod ein wenig, denn er hatte wirklich ein Lüstchen zu Birnen.) "Nun denn", fuhr der Bauer Elend fort, "so steige hinauf auf den Birnbaum und hole uns ein Gericht Birnen herunter, ich selber bin schon steif und kann nicht mehr hinaufkommen." Der Tod kletterte nun auf den Birnbaum und wollte die Birnen herunter holen. Als er aber oben war und sich die Taschen voll gesteckt hatte, merkte er, dass er nicht wieder herunter konnte. Da kam der Bauer aus seinem Hause und klatschte wieder vor Freuden in seine Hände, dass er den Tod auf seinem Birnbaume gefangen halte. Endlich aber ließ er ihn laufen unter der Bedingung, dass er zu ihm nicht wieder kommen dürfe.
Darum lebt Elend noch bis auf den heutigen Tag, und stöhnt und seufzt, lässt sich's dann aber auch einmal wohl sein an seinen Birnen. Und ich fürchte sehr, der Vetter Juchheidom stirbt und Elend lebt bis an den jüngsten Tag, obschon ihm doch am Ende im Grabe wohler wäre als hier auf der Erde.
 
Kaiser Friedrich, die Königin Holle und Napoleon
(Sachsen)
Im letzten Kriege kam ein französischer Marschall nach Nordhausen, und wie er die Trümmer der Kiffhäuserburg sah und hörte, daß dies ein verwünschtes Schloß sei, auf dem es bei Nacht Niemand Ruhe lasse, rief er im Uebermuth »So will ich die nächste Nacht dort oben schlafen«; und er hörte auf keine Warnung, sondern ließ sein Feldbett auf dem Kiffhäuser aufschlagen. Und als es Mitternacht war, sandte der Kaiser Friedrich, der seit undenklichen Jahren im Kiffhäuser wohnt, die Königin Holle hinauf zu dem Marschall und ließ ihm sagen, er möge seinen Herrn, den Kaiser Napoleon, warnen nicht nach Rußland zu ziehen; denn von da werde er nur in Schmach und Noth wiederkehren: und er möge dem Kaiser verkündigen, wenn er seinen Ruhm lieb habe, solle er Deutschland räumen; denn er, der Kaiser Friedrich, dulde nicht daß sein deutsches Volk den Franzosen unterthänig sei: und wenn der Kaiser Napoleon diese Mahnung nicht höre, werde er in Jammer und Armuth untergehn. – Der Marschall eilte am folgenden Morgen nach Halle, wo Napoleon sich grade aufhielt, und sagte ihm was die Königin Holle ihm melden ließ, und alle Generale und alle Soldaten baten den Kaiser nicht nach Rußland zu gehen; doch er, wie er war, lachte sie aus, und das hat er denn büßen müssen.

Die Königin Holle ist Kaiser Friedrichs Haushälterin im Kiffhäuser. Sie war eine reiche Königswittwe und wurde freventlich ermordet: da fand ihr Geist keine Ruh im Grabe und schwärmte lange umher, bis sie hörte daß der Kaiser Friedrich im Kiffhäuser eine Freistatt gefunden; und da sie sich aus ihrer Zeit erinnerte daß man ihn immer als einen so gerechten und gütigen Herrn gepriesen hatte, ging sie zu ihm in den Berg, und dort führt sie ihm nun die Wirthschaft und sorgt für Alles, was er und die vielen hundert Ritter und Knappen bedürfen, die mit ihm um den großen steinernen Tisch sitzen.
 
Otto der Rothe im Kyffhäuser und zu Quedlinburg
(Sachsen / Thüringen)
Kaiser Otto mit dem roten Barte geriet mit den Geistlichen in Streit, und da machten ihm die Reichsgeschäfte bald keine Sorgen mehr. Man sagte dem Volke, er sei plötzlich gestorben, und veranstaltete ein feierliches Begräbnis; doch der Kaiser lag nicht im Sarge, sondern schmachtete in einem Gefängnis. Und als er nach vielen Jahren starb, fand sein Geist keine Ruhe im Grabe, sondern irrte lange umher, bis er sich den Kyffhäuser zur Wohnstatt erkor.

Nun zogen einst Musikanten durch das Thal am Kyffhäuser und spielten vor allen Häusern; doch nirgends empfingen sie eine Gabe, so daß sie sich den ganzen Tag vergebens gemüht hatten. Da sprachen sie am Abend »Wir wollen dem Kaiser Otto ein Ständchen bringen: vielleicht schenkt er uns Etwas.« Und sie spielten vor dem Berge das schönste ihrer Stücke auf; und als sie fertig waren, kam des Kaisers Kastellan und überreichte jedem einen grünen Zweig. Die Musikanten aber warfen die Zweige weg und lachten. »Wenn wir nicht mehr hätten verdienen wollen« sprachen sie, »solch kaiserliche Gnade hätten wir auch sonst schon finden können.« Nur einer steckte sich den Zweig an den Hut und sagte »So habe ich doch ein Andenken an den Kaiser Otto.« Und als sie Abends spät in die Herberge kamen, war der Zweig auf dem Hute des Musikanten zu eitlem Golde geworden, und der arme Musikant war nun für sein Leben ein reicher Mann. Wie die andern das sahen, eilten sie zum Berge zurück und suchten im Mondscheine nach ihren Zweigen; doch die Zweige waren verschwunden. Am folgenden Morgen spielten sie wieder vor dem Kyffhäuser und spielten drei ganze Tage hindurch; doch der Kastellan des Kaisers brachte ihnen Nichts zum Dank.

Ein armer Schäfer hatte gehört wie der Musikant durch das Geschenk des Kaisers so reich geworden war, und er trieb nun immer auf den Kyffhäuser und dachte »Wenn ich nur den Weg wüßte, der in den Berg zum Kaiser Otto führt: da er ein so liebreicher, wohlthätiger Herr ist, so würde ich ihm meine Armut klagen, und er würde sich gewiß meiner annehmen.« Und wie er einst auch wieder so bei sich dachte, bemerkte er vor seinen Füßen eine Fallthür, die er nie zuvor gesehen hatte. Er öffnete sie und stieg eine lange Treppe in den Berg hinab bis in einen weiten, hochgewölbten Saal. Dort saß der Kaiser Otto mit seinem langen rothen Bart an einem großen steinernen Tisch, und um ihn her saßen viele hundert Ritter und Schildknappen in voller Rüstung. Schüchtern blieb der Hirt am Fuße der Treppe stehen, doch der Kaiser winkte ihm freundlich und sprach »Ich weiß schon weshalb du kommst. Hier nimm dir so viel du brauchst, und wenn du heim kommst, grüß dein Weib und deine Kinder von mir.« Und damit wies er auf einen Haufen glühender Kohlen, der in einem Winkel lag. Der Hirt beugte sich ängstlich über die Kohlen, doch er wagte nicht sie anzurühren. Da lachte der Kaiser und rief »Greif nur zu; es brennt nicht. Doch nimm nicht zu wenig.« »Ja zu wenig!« dachte der Hirt, »wenn nur was zu nehmen wäre. Um Kohlen zu verschenken und arme Leute auszulachen braucht man kein Kaiser zu sein.« Doch weil er sich fürchtete zu widersprechen, füllte er seine Hirtentasche mit Kohlen, verneigte sich tief vor dem Kaiser und seinen Rittern und Knappen und stieg die Treppe wieder hinauf. Und wie er oben die Kohlen aus der Tasche schütten wollte, war die Tasche voll gediegenen Goldes, und der Schäfer war so reich wie der Musikant; doch die Falltür konnte er nie wieder finden.

Ein andrer Schäfer verlor am Johannisabend seine Herde, die er auf dem Kyffhäuser gehütet hatte. Er lief durch das Gebüsch und hohe Gras sie zu suchen, und dabei streifte er, ohne es zu wissen, mit den Füßen die Wunderblume ab, und sie blieb in seiner Schuhschnalle hängen. Wer diese Blume, die nur in der Johannisnacht blüht, an sich trägt, der kann die Geister sehen: und wie es nun im Thale elf schlug, war der Schäfer grade dicht unter dem Gipfel des Berges, und er sah wie sich der Berg auftat und der Kaiser Otto mit vielen Rittern herausstieg. Sie waren gar stattlich anzuschauen und begannen auf dem Berge Kegel zu schieben, und als sie eine Weile geschoben hatten, schmaräkelten (schmaräkeln ist ein Kegelspiel) sie. Der Schäfer blieb verwundert stehen und schaute zu. Da schlug es zwölf, und sie stiegen in den Berg zurück, und der Berg schloß sich wieder. Der Schäfer nahm zum Wahrzeichen den König der Kegel und steckte ihn in seine Hirtentasche. Er ging weiter nach seinen Schafen, fand sie auch bald und erzählte nun am Morgen den andern Hirten was er in der Nacht gesehen hatte. Die aber lachten ihn aus: da holte er den Kegel aus der Tasche, und wie er ihn ansah, war er ganz von Gold.

Nachdem der Kaiser Otto wohl manche hundert Jahre in dem Berge gehaust hatte, ging er zur Ruh ins Grab, und an seine Stelle zog der Kaiser Friedrich in den Kyffhäuser, der noch dort wohnt. – Nach Andern aber soll der Kaiser Otto aus dem Kyffhäuser in das Quedlinburger Schloß gezogen sein und noch jetzt in den tiefen Kellern desselben sitzen. Die Magd des Küsters in Quedlinburg wurde einst von einem Geiste hinabgeführt und sah den Kaiser, der ganz von Golde war und sich nicht regte. Nach einer alten Wahrsagung soll das Quedlinburger Schloß einst abbrennen: dann wird man den Kaiser unter den Trümmern finden und das Schloß mit dem Golde, in das sein Leib sich verwandelt hat, neu und schöner aufbauen; sein Geist aber wird dann Ruhe finden.
 
Der Hexentanz auf dem Brocken
(Deutschland / Caspar Friedrich Gottschalck (1772 – nach 1836)
Auf dem Harzgebirge gibt es einen hohen, hohen Berg, der über alle Berge, wohl fünfzig Meilen in der Runde, weit hinwegsieht. Er heißt: der Brocken. Wenn man aber von den Zaubereien und Hexenthaten, die auf und an ihm vorgehen und vorgegangen sind, spricht, so heißt er auch wohl der Blocksberg. Auf dem Scheitel dieses kahlen, unfruchtbaren Berges – der mit hunderttausend Millionen Felsstücken übersäet ist – hat der Teufel jährlich, in der Nacht vom letzten April auf den ersten Mai, der so genannten Walpurgisnacht, mit seinen Bundesgenossen, den Hexen und Zauberern der ganzen Erde, eine glänzende Zusammenkunft. So wie die Mitternachtsstunde vorüber ist, kommen von allen Seiten diese Wesen auf Ofengabeln, Besen, Mistforken, gehörnten Ziegenböcken und sonstigen Unthieren, durch die Luft herbei geritten, und der Teufel holt mehrere selbst dazu ab. Ist alles beisammen, so wird um ein hoch loderndes Feuer getanzt, gejauchzt, mit Feuerbränden die Luft durchschwenkt und bis zur Ermattung herum geras't. Von Begeisterung ergriffen, tritt alsdann der Teufel auf die »Teufelskanzel«, lästert auf Gott, seine Lehre und die lieben Engelein, und zum Beschluß giebt er, als Wirth, ein Mahl, wo nichts als Würste gegessen werden, die man auf dem »Hexenaltar« zubereitet. Die Hexe, die zuletzt ankommt, muß, wegen Vernachlässigung der herkömmlichen Etiquette, eines grausamen Todes sterben. Sie wird nämlich, nach der letzten glühenden Umarmung des Regenten der Unterwelt, in Stücken zerrissen, und ihr auf dem Hexenaltar zerhacktes Fleisch, den andern zum warnenden Beispiel, als eine der Hauptschüsseln des Schmauses vorgesetzt. Mit anbrechender Morgenröthe zerstäubt die ganze saubere Sippschaft nach allen Windgegenden hin.
Damit diese Unholde auf ihrer Hin- und Zurückreise weder Menschen noch Vieh Schaden zufügen können, so machen die Bewohner der Örter um den Brocken vor der einbrechenden Walpurgisnacht an die Thüren der Häuser und Ställe drei Kreuze, und sind dann des festen Glaubens, daß sie und das Ihrige nun von den durchziehenden Geistern und bösen Wesen nicht behext werden können.
 
Der Rattenfänger zu Hameln
(Deutschland / Hameln)
Im Jahre 1284 ließ sich zu Hameln ein sonderbarer Mann sehen. Er trug einen Rock von vielfarbigem, buntem Tuch, weswegen er Bundting geheißen haben soll, und gab sich für einen Rattenfänger aus. Er versprach für einen bestimmten Lohn die Stadt von allen Ratten und Mäusen zu befreien. Die Bürger wurden mit ihm einig und sicherten ihm den verlangten Betrag zu. Der Rattenfänger zog demnach ein Pfeifchen aus der Tasche und begann eine eigenartige Weise zu pfeifen. Da kamen sogleich die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Sobald der Fänger glaubte, es sei keine mehr zurückgeblieben, schritt er langsam zum Stadttor hinaus, und der ganze Haufe folgte ihm bis an die Weser. Dort schürzte der Mann seine Kleider, stieg in den Fluss, und alle Tiere sprangen hinter ihm drein und ertranken.
Nachdem die Bürger aber von ihrer Plage befreit waren, reute sie der versprochene Lohn, und sie verweigerten dem Mann die Auszahlung unter allerlei Ausflüchten, so dass er sich schließlich zornig und erbittert entfernte. Am 24. Juni, am Tage Johannis des Täufers, morgens früh um sieben Uhr erschien er wieder, diesmal in Gestalt eines Jägers, mit finsterem Blick, einen roten, wunderlichen Hut auf dem Kopf. Wortlos zog er seine Pfeife hervor und ließ sie in den Gassen hören. Und in aller Eile kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mädchen, vom vierten Lebensjahr angefangen, in großer Zahl dahergelaufen. Darunter war auch die schon erwachsene Tochter des Bürgermeisters. Der ganze Schwarm zog hinter dem Mann her, und er führte sie vor die Stadt zu einem Berg hinaus, wo er mit der ganzen Schar verschwand. Dies hatte ein Kindermädchen gesehen, das mit einem Kind auf dem Arm weit rückwärts nachgezogen war, dann aber umkehrte und die Kunde in die Stadt brachte. Die Eltern liefen sogleich haufenweise vor alle Tore und suchten jammernd ihre Kinder. Besonders die Mütter klagten und weinten herzzerreißend. Ungesäumt wurden Boten zu Wasser und zu Land an alle Orte umhergeschickt, die nachforschen sollten, ob man die Kinder oder auch nur einige von ihnen irgendwo gesehen habe; aber alles Suchen war leider vergeblich. Hundertunddreißig Kinder gingen damals verloren. Zwei sollen sich, wie man erzählt, verspätet haben und zurückgekommen sein, wovon aber das eine blind, das andere taubstumm war. Das blinde konnte den Ort nicht zeigen, wo es sich aufgehalten hatte, wohl aber erzählen, wie sie dem Spielmann gefolgt waren, das taubstumme nur den Ort weisen, da es nichts gehört hatte und auch nicht sprechen konnte. Ein kleiner Knabe war im Hemd mitgelaufen und nach einiger Zeit umgekehrt, um seinen Rock zu holen, wodurch er dem Unglück entgangen war; denn als er zurückkam, waren die andern schon in der Senkung eines Hügels verschwunden.
Die Straße, auf der die Kinder zum Tor hinausgezogen waren, hieß später die bungelose (trommeltonlose, stille), weil kein Tanz darin abgehalten und kein Saitenspiel gerührt werden durfte. Ja, wenn eine Braut mit Musik zur Kirche geführt wurde, mussten die Spielleute in dieser Gasse ihr Spiel unterbrechen. Der Berg bei Hameln, wo die Kinder verschwanden, heißt der Poppenberg. Dort sind links und rechts zwei Steine in Kreuzform zur Erinnerung an dies traurige und seltsame Ereignis errichtet.
Die Bürger von Hameln haben diese Begebenheit in ihrem Stadtbuch verzeichnen lassen. Im Jahre 1572 ließ der Bürgermeister die Geschichte auf den Kirchenfenstern abbilden.
 
Von der Erschaffung des Mondes
(Österreich /Steiermark / Oskar Dähnhardt)
Als Sankt Michael Adam und Eva aus dem Paradiese vertrieben hatte, kehrte er zurück in den Himmel. - 'Nun, hast du sie ausgejagt, diese Herrgottssakramenter?' fragt der Gottvater. - 'Hätt' der Herr auch einen andern schicken mögen!' brummt Sankt Michael in seinen Bart - nein, Bart wird er keinen gehabt haben. 'Ich hab' mir', sagt er, 'in dieser Höllenfinsternis da unten das Knie angestoßen, daß schon all des Teufels! Beim Tag geht's noch an, da schupfen die Engel den Sonnenball hin und wieder; aber in der Nacht ist das schon eine stockfinstere Welt übereinander! Kann's der Eva gar nicht für übel halten, wenn sie in der rabenschwarzen Nacht einen unrechten Apfel erwischt hat; wird schon noch öfters so was passieren. Die Leut' müssen einen Mond haben!' - 'Ja?' fragt der Gottvater, 'nu, so steh ein wenig beiseite, Sankt Michael, ich erschaff' jetzt den Mond!' - Richtig, hat's getan! 'Aber', sagt der Gottvater, 'auf daß die Leute wissen, daß es nur ein guter Wille ist von mir, und daß sie sich nicht eine Rechtssache daraus machen, so lasse ich den Mond im Monat allemal 14 Nächte scheinen, die übrigen 14 Nächte laß ich's finster sein.' Und deswegen haben wir den zunehmenden und den abnehmenden Mond.
 
Die verstorbene Gerechtigkeit
(Österreich)
Vor langer Zeit lebte ein gewaltig reicher und mächtiger Graf, dem alles nach seinem Kopf gehen mußte. Er fragte nicht nach Recht und Billigkeit, sondern schaltete und waltete nur nach Willkür. Da kam er einmal auf einem Spazierritt zu einem großen, schönen Landhaus, das ihm gar sehr in die Augen stach. Er besichtigte deshalb das ganze Gehöft und ritt dann vor das Haus hin, wo eben der Bauer, dem das Anwesen gehörte, unter der Haustür stand. Der Graf grüßte ihn freundlich, stieg vom Roß und sprach: »Guter Freund, möchtest du mir nicht deinen Hof zu kaufen geben? Ich würde ihn sehr gut bezahlen.« Der Bauer aber bedachte die Frage nicht lange und antwortete: »Euer Gnaden, nichts für ungut. Aus dem Handel wird nichts, denn auf diesem Hof saßen meine Voreltern schon, und ich will auch darauf meine alten Tage zubringen. Also nichts für ungut!« Da sagte der Graf: »Ich will dir bis morgen Bedenkzeit lassen. Überleg es dir gut.« Dann stieg er auf sein Pferd und sprengte von dannen. Der Bauer blieb aber bei seinem Vorhaben, schüttelte den Kopf und dachte sich: Daraus wird nun einmal nichts. Am folgenden Tag kam der Graf schon in aller Frühe daher geritten und fragte, ohne abzusteigen, den Bauern, was er jetzt beschlossen habe. Da antwortete der Bauer: »Ich habe, Euer Gnaden, meinen Entschluß nicht aufgegeben. Ich bleibe auf meinem Hof, und aus diesem Handel wird nichts.« Da wurde der Graf wild und sprach: »Ich frage dich noch einmal, ob du dein Anwesen gutwillig hergeben willst. Wo nicht, so bekomme ich es doch!« Der Bauer schüttelte jedoch seinen Kopf und erwiderte: »Dabei bleibt's, ich verkaufe meinen Hof nicht.« Nun wurde der Graf ganz wild vor Zorn und sprengte mit seinem Roß auf und davon. Er ritt spornstreichs zu einem Advokaten, bestach ihn mit vielem Gold und ließ dem Landmann einen Prozeß anhängen. Die Richter wußten, daß der Graf ein steinreicher Mann war und bei dem Handel Geld herausschaute. Deshalb hielten sie zu dem Grafen und versprachen ihm, das Bäuerlein mürbe zu machen. Sie ließen nun den Bauern durch den Gerichtsdiener herbeiholen und fragten ihn, ob er seinen Hof verkaufen wolle oder nicht. Als er ein entschiedenes Nein erwiderte, wurde ihm eine Klageschrift vorgelesen, und es wurde ihm gesagt, wenn er den Hof behalten wolle, so müsse er mit dem Herrn Grafen einen Prozeß führen. Der einfältige Bauer, der sich nicht zu helfen wußte, ging darauf ein und ließ sich die Sache gefallen. Der Graf hatte einen pfiffigen Advokaten, der Bauer hatte aber keinen, weil er sparen wollte. Da wurde nun hin und her prozessiert und der Bauer so oft in die Stadt gerufen und übertölpelt, bis er ganz verschuldet war. Die Richter entschieden auch gegen ihn, so daß er vom Hof mußte und ihm nur mehr hundert Gulden blieben. Er fügte sich in die traurige Geschichte, machte aber den Richtern bittere Vorwürfe und sprach: »Wenn auf Erden keine Gerechtigkeit mehr ist, so lebt droben noch ein Richter, der euch finden wird.« Da lachten die Herren, und einer sagte: »Ja, die Gerechtigkeit ist lange gestorben; die kann dir nicht helfen.« Der betrogene Bauer ging dann schweigend aus der Kanzlei hinaus und begab sich geradewegs zum Kirchenvater. Als dieser den ihm wohlbekannten Bauern kommen sah, rief er ihm freundlich zu: »Grüß dich Gott, Hans! Kommst du auch einmal in die Stadt, mich zu besuchen?« »Ja«, antwortete Hans, »aber in einer sehr traurigen Lage.« Dann erzählte er dem Kirchenvater die Geschichte und schloß: »Jetzt hab' ich noch hundert Gulden, und die geb' ich dir. Es ist gerade so viel Geld, wie man bei euch in der Stadt da zahlen muß, wenn man die große Glocke für einen Verstorbenen läuten läßt. Da hast du das Geld, und jetzt läute schnell der Gerechtigkeit, weil sie gestorben ist, zu ihrem Hinscheiden. Aber läute recht lang.« Der Kirchenvater nahm das Geld, ging mit seinem Knecht in den Turm und läutete die große Glocke, und zwar länger als gewöhnlich. Da gab's nun in der Stadt ein Gefrage und Gerede, wer gestorben sei, für wen man so lange läute. Doch niemand wußte Bescheid darauf, und die Neugierde wurde immer größer. Auch der König, der in derselben Stadt seine Residenz hatte, erkundigte sich, wer gestorben sei, konnte aber keine Auskunft erhalten. Da schickte er einen Läufer zum Kirchenvater und ließ ihn fragen, für wen man so lange geläutet habe. Der Kirchenvater sprach: »Für die Gerechtigkeit.« Der Läufer eilte mit dieser Antwort zum König zurück. Wie der König dies hörte, wurde er rot vor Zorn und rief: »Die Gerechtigkeit ist nicht gestorben. Sie schläft nur, und ich will ihr neues Leben einhauchen.« Dann ließ er den Kirchenvater holen und frage ihn, wer die große Glocke für die verstorbene Gerechtigkeit habe läuten lassen. Dieser sprach: »Eure Majestät, der Schauferle-Hans, der früher Schauferle-Bauer war.« Wie der König dies erfahren hatte, ließ er sogleich den Schauferle-Hans herbeiholen und fragte ihn, warum er die Glocke habe läuten lassen. Da erzählte Hans, wie er des Grafen wegen von Haus und Hof gekommen war, weil die Gerechtigkeit nicht mehr lebe. Der König war über die Richter ganz ergrimmt, machte kurzen Prozeß und gab dem Bauern sein Eigentum zurück. Dann ließ er den Grafen, den pfiffigen Advokaten und die bestochenen Richter rufen, die Sache untersuchen und verurteilte allesamt zum Tod. Sie wurden in Gestalt einer Glocke aufgehängt, und in ihrer Mitte zappelte der Graf. Seitdem aber kam die Gerechtigkeit wieder zum Leben, und die Richter sprachen Recht, wie es sich geziemt.
 
Romulus und Remus
(Italien / Rom)
Einer der königlichen Nachkommen aus des Äneas Stamm war der Albanerkönig Prokas, der bei seinem Tode zwei Söhne, Numitor und Amulius, hinterließ. Selten sah man so große Unterschiede zwischen zwei Brüdern; Numitor, der ältere, hatte ein sanftes und gutmütiges Wesen, während Amulius aufbrausend und herrschsüchtig war. Ehrgeiz und diese Herrschsucht trieben Amulius, den Bruder vom Throne zu stoßen und aus dem Lande zu verbannen. Aus Furcht vor der Vergeltung ließ er des Bruders Sohn auf der Jagd meuchlings töten. Die Tochter Numitors, Rhea Silvia, machte er zur Priesterin der Vesta, in deren Dienst sie unvermählt bleiben musste. So schien jede Bedrohung seines Thrones beseitigt. Da begab es sich, dass der Kriegsgott Mars die schöne vestalische Jungfrau erblickte und sich heimlich mit ihr vermählte. Als Rhea Silvia ein Zwillingspaar gebar, kannte der Zorn ihres Oheims Amulius keine Grenzen; denn er fürchtete, dass die Kinder, Enkel des rechtmäßigen Königs Numitor, sich einst an ihm rächen könnten. Nach dem strengen Gesetz der Göttin Vesta musste Rhea Silvia wegen ihres Vergehens mit dem Tode bestraft werden. Die Zwillinge aber sollte ein Diener nach des Königs Gebot in den Tiber werfen. Nun war der Fluss gerade in jenen Tagen über seine Ufer getreten, und so überließen des Königs Beauftragte die Kinder ihrem Schicksal in einem Körbchen, das sie in das strömende Wasser setzten. Der Korb schaukelte auf den Wellen dahin und gelangte in eine Landschaft, die von sieben Hügeln gekrönt war. Dort blieb er im Geäst eines Feigenbaumes hängen, und als das Wasser gefallen war, stand er mit seiner wimmernden Fracht auf dem Trockenen. Der Kriegsgott Mars war besorgt um das Schicksal seiner Söhne und sandte ihnen die ihm geheiligten Tiere. Von der Höhe des Berges Palatinus kam eine Wölfin, die ihren Durst im Flusse löschen wollte, und bemerkte die hilflosen Kinder; sie schleppte sie in ihre Höhle, bettete sie weich und säugte sie. Später brachte der Specht, der heilige Vogel des Mars, Körner und wohlschmeckenden Samen. So wurden die Zwillinge mit kräftiger Nahrung am Leben gehalten. Eines Tages kam Faustulus, ein einfacher Ziegenhirt, auf der Suche nach einem seiner Tiere des Weges und gewahrte das wundersame Schauspiel in der Höhle. Er empfand Mitleid mit den Knaben und brachte sie zu seiner Frau, die eben ihr Söhnchen durch den Tod verloren hatte. Aus Mitleid nahm Acca Larentia, die Hirtenfrau, sich der Zwillinge an. Die Pflegeeltern gaben ihnen die Namen Romulus und Remus. Als die Kunde von dem Schicksal Rhea Silvias und ihrer Kinder auch in diese Einsamkeit gelangte, wurde es Faustulus offenbar, wie es mit der Herkunft der beiden Knaben bestellt sei. Er erkannte, dass er Numitors Enkel gerettet hatte; doch aus Furcht vor der Rache des Königs Amulius behielt er sein Geheimnis bei sich. In der ländlichen Freiheit wuchsen die Zwillinge zu kräftigen Jünglingen heran, durchstreiften mit ihren Altersgenossen Wald und Flur und bauten sich auf dem Palatinischen Berge ihre Hütten. Häufig mussten sie, jeder an der Spitze einer Schar von Getreuen, ihre Kraft mit wilden Tieren messen, welche die Herden bedrängten. Oft lagen sie auch im Streit mit anderen Hirten, besonders mit denen des vertriebenen Königs Numitor, der auf einem kleinen Gehöft ein zurückgezogenes, stilles Leben führte. Einst geschah es bei solchen Streitigkeiten, dass Remus sich der Übermacht der feindlichen Hirten nicht erwehren konnte und von ihnen gefangen weggeschleppt wurde. Sie brachten ihn vor ihren Herrn, den greisen Numitor. Tief betroffen blickte dieser auf den Jüngling, die Ähnlichkeit mit seinem Sohn schien ihm unverkennbar. Bald darauf stellten sich auch, getrieben von der Sorge um Remus, der treue Faustulus und Romulus ein, um den Gefangenen freizubitten. Faustulus offenbarte dem Alten nun die ganze Wahrheit, und überglücklich umarmte Numitor, der rechtmäßige König, seine beiden jungen Enkel. Vor allem Volk, das herbeigeströmt war, schworen Romulus und Remus den Eid, die ihnen zustehende Herrschaft zu gewinnen. Die beiden Jünglinge riefen ihre Gefährten und die andern Männer zum Vergeltungsfeldzug auf, zogen nach Alba Longa und drangen mit List in die Königsburg ein. Im Kampf um die Burg fand Amulius den Tod, und unter dem Jubel des Volkes setzten Romulus und Remus ihren greisen Großvater wieder in seine königlichen Rechte ein. Numitor liebte seine Enkel zärtlich, und er war glücklich bei dem Gedanken, dass sie nach seinem Tode als Doppelkönige die Geschicke Alba Longas lenken würden. Doch die Götter fügten es anders.
 
Wie die Schwalben ihre weiße Farbe verloren
(Frankreich)
Gott schuf einst zwei schöne Vögel, mit herrlich weißem Gefieder, und sagte zu ihnen: 'Ich nenne euch Schwalben. Ihr und eure Nachkommen sollt meinen Segen überall hintragen und den Menschen die schöne, warme Jahreszeit verkünden, die Blumen und Früchte bringt. Baut eure Nester unter den Dächern der Wohnungen, sie sollen Zeichen des Glückes sein. Die Schwalben breiteten ihre Flügel aus und flogen auf die Erde. Da wurde dort alles ganz anders als zuvor. Der kalten, öden Zeit folgten helle, freundliche Tage mit warmen, linden Lüften, und wo die Schwalben einkehrten, verschwanden auch die Krankheiten.
So blieb es mehrere Jahre. Die Menschen waren glücklich, und der schönen weißen Vögel wurden mehr und mehr. Da zerstörte eines Tages ein finsterer, böser Mann das Schwalbennest unter dem Dach seines Hauses; andere Taugenichtse waren auch dabei, und sie lachten, wie die eben ausgeschlüpften Jungen herunterfielen. Als den Gottesvögeln solche Grausamkeit widerfuhr, entflohen sie zum Himmel. Aber indem die letzte Schwalbe verschwand, wurde es wieder Winter, und die Menschen wurden bald ihr Unglück gewahr. Da baten sie Gott, er möge sie nicht alle für das Verbrechen dieses einen bestrafen, und Gott erhörte ihre Bitte, und mit den Schwalben kam auch die schöne Jahreszeit wieder.
Es gab aber ein paar schlechte Menschen, die fürchteten, daß die Boten des Frühlings doch noch einmal wegfliegen würden, und eines Nachts, als die Schwalben schliefen, fingen sie sie und sperrten sie in einen großen Turm. Am nächsten Morgen sahen die armen Schwälbchen, daß sie gefangen waren, stießen jämmerliche Schreie aus und schlugen mit Flügeln und Schnäbeln an die Wände, um ihre Freiheit wieder zu gewinnen. Doch es kam noch schlimmer. Die Wächter, die die Vögel bewachen sollten, wurden ihres Geschäftes überdrüssig und rissen den Vögeln die Flugfedern aus. Die armen Tiere klagten, wie sie ihre weißen Federn vom Turm herunterfliegen sahen, aber die Wächter lachten dazu. Da verwandelten sich die Federn auf einmal in dichte, weiße Flocken, die die Wächter einhüllten. Der Nordwind blies, Gras und Blumen verwelkten, die Bäume verloren ihre Blätter, und die Erde gefror. Die Menschen wurden voll Schnee und flüchteten sich in ihre Wohnungen. Plötzlich brach ein Orkan aus, der rüttelte an dem Turm, bis sich ein Spalt öffnete. Den Schwalben aber waren die Federn wieder gewachsen, und sie flogen zum Himmel.
Zum zweitenmal baten die Menschen Gott um Gnade, und er verzieh ihnen, doch durften die Schwalben seitdem nur sechs Monate bei ihnen bleiben, und ihr Gefieder wurde schwarz zur Erinnerung an die Bosheit der Menschen.
 
Das Gebot
(Frankreich)
Ein Eremit tadelte einstmals Adam und grollte ihm, daß er ein so leichtes Gebot übertreten habe, anstatt Mitleid mit ihm zu fühlen. Sein Gefährte wollte ihn züchtigen; er legte eine Maus zwischen zwei Schüsseln und sagte zu ihm: »Bruder, bis ich zurückgekehrt bin, sollst du nicht nachsehen, was zwischen diesen beiden Schüsseln verborgen ist.« Als jener fort war, begann der andere nachzugrübeln: warum hat er mir dieses Gebot auferlegt? ich muß doch einmal sehen, was er zwischen die beiden Schüsseln versteckt hat. Er hob die obere Schüssel auf, und die Maus entwich. Als der Gefährte zurückkam und die Maus nicht mehr fand, sagte er: »Du tadeltest Adam, weil er ein so leichtes Gebot übertreten habe, und du hast ein noch leichteres nicht gehalten.« Hierauf ließ der Eremit von seiner Anmaßung ab und vertauschte seinen Groll mit Mitleid.